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Über den Buckel

Alpenüberquerung auf Ski: Von Oberstdorf nach Taufers im Münstertal

8 Minuten Lesezeit
Per Bike oder zu Fuß gehört eine Alpenüberquerung bei vielen auf die Traumtouren-Liste. Deuter-Geschäftsführer Martin Riebel nahm Europas großen Buckel Ende März auf Tourenski in Angriff - in vier Tagen von Oberstdorf bis Taufers im Münstertal.

Im Sommer 2012 radelte ich gemeinsam mit meiner Frau Annette über die Alpen. Schon damals war mir klar, dass ich das irgendwann auch mit Ski machen will. Das Gefühl der Freiheit, nur mit einem Rucksack unterwegs, hatte meine Begeisterung geweckt.

Die konkrete Tourenplanung ins Rollen brachte schließlich der Deuter-Schlafsack-test in der Iglu Lodge am Fellhorn im darauffolgenden Winter, als ich Thomas Dempfle von meinem Traum erzähle. Thomas ist ein alter Weggefährte aus vergangenen Skirenntagen und leitet die OASE Bergschule in Oberstdorf. Wir einigten uns auf einen Termin und mit Andy, Robert, Alex, Markus und Peter hatten wir schon bald unser Dream-Team für die Alpenüberquerung gefunden. Ende März 2014 machten wir uns auf, um in vier Tagen den großen Buckel zu überqueren.

1. Tag: Tag des Aufbruchs

Die Tour beginnt gemütlich bei einem Kaffee im Bergschulbüro in Oberstdorf. Bis alle eingetroffen sind, wiegen wir nebenbei unsere Rucksäcke: Acht bis zehn Kilo sind die Regel – nur Alex senkt mit sechs Kilo beeindruckend den Schnitt. „Was braucht man mehr als eine zweite Unterhose und ein schönes Kragen-T-Shirt für den Abend?“ Peter veranlasst das zum hektischen Umpacken. Alle 27 Sekunden entscheidet er erneut, was mit muss und was nicht.

Um 10 Uhr sitzen wir im Lininenbus von Oberstdorf nach Baad. Unser Ausgangspunkt in Vorarlberg liegt auf 1.250 Meter und hier lüftet Alex schließlich auch sein Packgeheimnis: Kaum Wechselbekleidung dafür ein intensives Parfum!

Wir starten die Alpenüberquerung mit einem LVS-Test aller Teilnehmer und erreichen nach rund 45 Minuten auch schon unseren ersten Halt bei Sabine an der Bärgunthütte (1.408 Meter). Die Hüttenwirtin ist ein wandelndes Heimatgeschichtsbuch. Sie erzählt von den alten Vorarlbergern, den Bräuchen, Sitten und Entwicklungen der Alpenregion. Auch warum der Bärenkopf – an dessen Fuße wir sitzen – der Sage nach zu seinem Namen kommt, verrät sie uns: „Der Bärenkopf ist ein Symbol der Kelten, deren „Hexen“ – also die Kräuterspezialisten und -spezialistinnen – sich vor langer Zeit auf diesem Berg trafen. Und daran erinnert bis heute sein Name.“

Nach einer guten Stunde machen wir uns wieder auf den Weg. Erst als Robert über seine Felle klagt legen wir nach einem Nadelöhr die nächste Pause ein. Der Schnee setzt sich ständig an seinen Fellen fest! Auf Roberts Frage, ob denn jemand ein Stück Wachs dabei hätte, damit er seine Felle kurz bearbeiten könne, wirft ihm Thomas ein kleines Stück entgegen. Nebenbei verteilt der Bergführer Stundentenfutter an den Rest der Gruppe. Robert, in vollen Vertrauen, dass dieses fliegende „Etwas“ sicher ein guter Power-Riegel ist, steckt das Wachsstück in seinen Mund. Nach kurzem, mühsamen Kauen fragt er schließlich doch, welche Leckerei ihm Thomas zugeworfen hat. „Na das Waschs halt, für deine Felle!“ Das erste Highlight der Tour ist damit im Sack.

Traumhafte Abfahrten bei der Alpenüberquerung

Nach einem kurzen Anstieg, einer wunderschönen Abfahrt – garniert mit einem Doppelsalto im Neuschnee von Martin – geht es über den Hochalppass vorbei am südlichsten Berg Deutschlands: dem Biberkopf. Von dort führt uns die fast letzte Abfahrt des Tages in 30 Minuten hinunter auf den Hochtannbergpass. Mit zwei Liftfahrten und einer zusätzlichen Abfahrt erreichen wir unsere erste Übernachtungsherberge, das Berghotel Körbersee. Dort gibt Bergführer Thomas noch einen LVS-Kurs, was Alex  mit seinem nagelneuen Profi-Gerät leicht überfordert. Der dritte große Lacher an diesem Tag.

Den Ausklang des Tages gönnen wir uns im Wellnessbereich des Hotels, bevor er ans Abendessen und einige Bierchen geht – eine optimale Kombination, um den Tag noch einmal Revue passieren zu lassen. Um halb zwölf stellen wir die Uhren nach vorne – wäre ja peinlich so früh ins Bett zu gehen!

2. Tag: Tag der Flucht

Nach ausgiebigem Frühstück treffen wir uns am frühen Vormittag zum obligatorischen LVS-Check. Vom Skigebiet Warth geht es an eine anstrengende, beinah nervige, Umrundung des Wartherhorn und um das Karhorn. Die Abfahrt nach Ochsenkamp bei Lech ist gezeichnet von Stock- und Steinquerungen, Ski-Tragepassagen und einer Wasserski-Einlage von Alex in einem Bachbett. Ab Ochsenkamp bringt uns eine kurze Busfahrt (fünf Minuten) zum Skilift Rüfelkopfbahn, von wo wir mit einigen Liftfahrten und flotten, aber schönen Pistenabfahrten bis nach Zürs gelangen.

Weiter geht’s wieder mit dem Bus nach Valfagehr (Alperauz) zur nächsten Liftfahrt, um weiter nach St. Anton abzufahren. Die Rendlbahn bringt uns erneut bequem bis auf 2.030 Meter, ehe wir nach einer Querung um 14 Uhr das erste Mal an diesem Tag die Felle aufziehen. Gefühlt hat der Tag fast zu viele Lifteinheiten, aber, um in nur vier Tagen über die Alpen zu kommen, ist technische Unterstützung notwendig.

In gut 45 Minuten steigen wir die 400 Höhenmeter bis zur Rossfallscharte auf. Dort erwartet uns eine kurze, herrliche Abfahrt, ehe wir nochmals die Felle für den letzten Anstieg des Tages aufziehen. In knapp 75 Minuten quälen wir uns die 600 Höhenmeter hinauf zum Lattejoch, von wo uns eine sehr lange, anstrengende Abfahrt (30 Minuten) bis nach Kappel bringt.

Wieder mit dem Bus machen wir uns auf nach Ischgl, um nach „oana g’miadlich’n Hoiwen“ das Gefährt zu wechseln. Die Pistenraupe zur Heidelberger Hütte hat nach Angabe des Fahrers zwei Gänge: „Langsam und noch langsamer!“. Nach einer interessant-eintönigen Fahrt erreichen wir in knapp zwei Stunden am Ende doch noch unser Tagesziel.

Die Heidelberger Hütte im Schweizerischen Silvrettagebiet ist eine tolle Hütte mit angenehmem Flair, gutem Essen uns sehr netten und freundlichen Bedienungen. Nach Lagerbezug und drei Minuten Münzdusche geht’s zum Abendessen: Reissuppe und Braten mit Nachschlag! Alles sehr köstlich. Wir lassen den Abend am großen Hüttentisch gemütlich ausklingen.

3. Tag: Tag der bitteren Ziel-Verweigerung

In unbeschwerter, leicht überschwänglicher Weise ruft Rucksack-Maestro Martin zum Start in die dritte Etappe. Es ist kurz nach acht, der Morgen frisch, doch Martin meint, „der Alpinist beginnt seine Tour leicht fröstelnd“. Wortgefeit erwiedert Alex: „Aber der richtige Alpinist vergisst seinen Rucksack nicht!“ Beinah wäre Martin tatsächlich ohne Rucksack in den Tag gestartet – obwohl er zuhause sicherlich 200 Stück im Keller hat. Der nächste herzliche Lacher!

In stetigem Bergauf gehen wir in rund zwei Stunden an der Breiten Krone vorbei in Richtung Piz Tasna ins Fuorcla da Tasna (Engadin). Nach einer weiteren guten Stunde Aufstieg erreichen wir die 3.100-Meter-Marke nicht weit unterhalb des Gipfels. Eine kurze Diskussion führt zur Abstimmung, die mit 2:5 gegen den Gipfelsturm ausfällt. Markus, unser Youngster, ist stinksauer ob dieser Zielverweigerung, beugt sich aber dem Teamgeist. Dafür nehmen wir herrliche Abfahrten in Angriff und entscheiden noch den kurzen Anstieg auf den „Little Piz Tasna“ (Markus‘ Version) oder auch „Piz Mittelberg (Alex‘ Version) mitzunehmen. Auf dessen Gipfel nutzen wir schließlich die Gelegenheit für eine kurze, aufheiternde Witzrunde, ehe wir noch einmal bei einer 45-minütigen Tiefschneeabfahrt durch das Val Sinistra allen Schneeluxus genießen. Auch der zweite Sturz der gesamten Alpenüberquerung geht wieder auf das Konto von Ex-Skiprofi Martin.

Das letzte Dorf im Gebirgswinkel

Die letzte Stunde führt uns sprichwörtlich über Stock, Stein und Bach bis wir an der Bilderbuchhütte in Zuort die Skier für heute endgültig abschnallen. Mit dem Taxi fahren wir „günstig“ für 130 Euro ins Pferdedorf San Jon (Graubünden) und nach ein paar Bierchen per Kutsche weiter ins sehr abgelegene S-Charl. Fast zwei Stunden dauert die Fahrt in das letzte Dörfchen im Gebirgswinkel, in dem nur der Wirt Dominique mit seiner Mannschaft im Gasthaus Mayor und eine Nonne leben.

4. Tag:  Tag des letzten Aufbäumens

Der LVS-Check zeigt am vierten Morgen, dass auch die Erfahrenen nicht vor Fehlern gefeit sind: Martin hat vergessen sein LVS-Gerät einzuschalten, was ihn eine Halbe kostet. Vom Gasthof Mayor (1.815 Meter) geht es am Gajer vorbei flussaufwärts Richtung Curschetta-Sattel. Rund eineinhalb Stunden folgen wir dem Talverlauf ins Curschetta-Tal, bis wir auf 2.200 Metern rechst abbiegen und Kurs auf den Tagesgipfel nehmen. Nach einigen Fotos und einer intensiven Spitzkehrenlehre von Thomas erreichen wir nach knapp zwei Stunden den Mat Falein (2.836 Meter). Quer über den Gipfel verläuft die Grenze zwischen Italien und der Schweiz – wir nutzen den Grenzbereich erstmal für eine Brotzeitpause.

Nach einer weiteren traumhaften Tiefschneeabfahrt geht es auf die letzten zehn Kilometer das Tal hinaus Richtung Taufers im Münstertal (Südtirol). Der Schnee wird entlang des Baches so rar, dass Robert einen Abstecher ins Grüne riskiert. Letztlich muss er jedoch einsehen, dass man auf Gras gar nicht gut fahren kann. Mit Blick auf die überwältigende Ortler-Gruppe gehen wir zu Fuß mit Gepäck die letzten Meter abwärts ins Dorf Taufers.

Aufstieg am letzten Alpencross-Tag. Wieder wartet eine lohnende Abfahrt. Nur die letzten Meter geht's zu Fuß.
Aufstieg am letzten Alpencross-Tag. Wieder wartet eine lohnende Abfahrt. Nur die letzten Meter geht’s zu Fuß. | Foto: Robert Böhm

Um 13:45 erreichen wir unser Ziel. Nach dem Umziehen und Erfrischen am Dorfbrunnen werden wir von Freunden abgeholt. Die letzte Mission ist die Suche nach einem „g’miadlichen Wirtshaus“, um die unbeschreiblich herrliche Alpenüberquerung auf Ski würdig zu beschließen. Die Wahl fällt auf die Traube-Post in Graun im Vinschgau, wo sich für Wachsliebhaber Robert auch noch eine Kerze findet. „Damit du die schöne Tour nicht vergisst und nicht gleich die Kerze zusammen frisst!“

Ein ganz großes Dankeschön geht an dieser Stelle an unseren Bergführer Thomas, für die super geplante und organisierte Traum-Alpenüberquerung auf Ski. Und auch an den Markus, der während der gesamten Tour immer alles schön mitgeschrieben und dokumentiert hat. Danke auch an die lustige, kameradschaftliche und „griabige“ Truppe!

 

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