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Bodenständiger Boulder-Star

Jule Wurm: Die Europa- und Weltmeisterin im Interview

8 Minuten Lesezeit
Am 23.08.2014 schrieb Jule Wurm Klettergeschichte. Sie holte den ersten Deutschen Boulder-Weltmeistertitel in München. Jetzt ist sie auch Europameisterin. Im Interview haben wir ihr ein paar Fragen zu Motivation und Einstellung gestellt.

Mit 16 Jahren wurde Juliane Wurm zur jüngsten Deutschen Meisterin im Klettern und konnte inzwischen über fünfzehn Deutsche Meisterschaften für sich entscheiden. Sie bestritt ab 2009 im nationalen und internationalen Rahmen vermehrt Wettkämpfe im Bouldern – und das sehr erfolgreich: Bei diversen Weltcup-Finals belegte sie den 1. Platz. Die junge Medizinstudentin lebt inzwischen in Köln und zählt ohne weiteres zu den Top-Athletinnen weltweit. Wenn Jule gerade mal keine Wettkämpfe bestreitet, dann reist sie durch die Welt, besucht Bouldergebiete, hat Sponsorentermine oder dreht Filme. Was die 24-Jährige so sympathisch macht und wie sie an die ganze Sache herangeht, hat Chiara Hanke vom Bergzeit-Kletterteam für uns versucht herauszufinden:

Jule Wurm im Interview

Chiara Hanke: Hallo Jule, danke schon mal für Deine Zeit. Sicher hast Du viel um die Ohren zur Zeit, die Wettkampfserien haben ja erst begonnen, gleich mit einem Sieg in Köln auf den Deutschen Bouldermeisterschaften und jetzt auch noch Europameisterin im Bouldern in Innsbruck. Fährt man als Weltmeisterin gerade zu nationalen Wettkämpfen sehr selbstsicher und fast schon siegessicher?

Jule Wurm Weltmeisterin, Europameisterin, Bouldern Foto thecircuitclimbing.com
Die 24-Jährige Jule Wurm ist 2014 als erste Deutsche Boulder-Weltmeisterin geworden. 2015 holte sie sich neben dem Deutschen Meistertitel auch gleich den Europameistertitel. | Foto: thecircuitclimbing.com

Jule Wurm: Ich mache immer wieder gerne nationale Wettkämpfe mit, weil ich es schön finde, dort Leute zu treffen, die ich sonst selten sehe. Mit Jule Winter zum Beispiel verstehe ich mich richtig gut und wir würden uns außerhalb der Deutschlandcups kaum über den Weg laufen. So können wir in der Iso neuesten Klatsch und Tratsch austauschen. Deutschlandcups sind für mich, was den Wettkampf angeht, eine besondere Herausforderung. Die Boulder sind leichter als auf internationalen Wettkämpfen, aber man muss die Nerven zusammen halten und darf sich oft kaum Fehlversuche leisten, wenn man gewinnen will.

Wenn man Deine Ergebnisse der letzten Jahre so ansieht, dann sieht das sehr nach kontinuierlicher Steigerung bzw. sehr hohem Level aus! Wie hältst Du Dich motiviert für dieses hohe Trainingspensum?

Jule Wurm: Das fällt mir eigentlich nicht so schwer. Ich gehe nach wie vor total gerne trainieren. Mich muss niemand überreden, damit ich in die Halle fahre. Am liebsten powere ich mich so richtig aus. Wenn mich Jan (Anm. d. Red.: Jan Hojer ist Freund und Trainingspartner von Jule) und meine Freunde aus der Kletterhalle nicht ab und zu abhalten würden, würde ich meistens viel zu viel trainieren.

„Mich muss niemand überreden, damit ich in die Halle fahre“

Wie fühlt man sich denn eigentlich so als öffentliche Person? Ist es nicht seltsam, in der Halle oder am Fels zu sein und alle schauen einem auf die Finger und warten darauf, was man als nächstes macht?

Jule Wurm: Öffentlich Person klingt ja verrückt. Dass ich unter Kletterern etwas bekannter geworden bin, kam ja nicht von einem Tag auf den anderen, sondern hat sich über die letzten Jahre so entwickelt. Und außerdem sind die meisten Kletterer, die einen so anquatschen, ja total nett. Ich habe da eigentlich noch keine unangenehmen Erfahrungen gemacht, sondern freue mich meistens eher.

Man sieht ja immer mehr Videos von Dir, Deinem Freund Jan Hojer und natürlich auch von Deinem Trainer. Das sieht in meinen Augen beim Bouldern und Wettkampfbouldern alles sehr akrobatisch aus. Aber wenn es nicht läuft, dann läuft es bei manchen Bouldern einfach nicht, oder kann man mit Kraft da noch was machen? Oder direkt gefragt: Braucht man noch statische Haltekraft oder überwiegt die Balance?

Jule Wurm Weltmeisterin, Europameisterin, Bouldern Foto thecircuitclimbing.com
Jule Wurm unterwegs zum Treppchen. Hier meistert sie in München die Boulder, die im Finale nochmals die Spreu vom Weizen trennen – und steht anschließend lachend auf dem Treppchen. | Foto: thecircuitclimbing.com

Jule Wurm: Inzwischen ist beim Bouldern beides sehr wichtig. Wenn man nur gut in Balancebouldern ist, wird man im Weltcup auch nicht ins Finale kommen, wohingegen man mit viel Kraft und wenig Balance in den letzten Jahren schon ab und zu gut mit vorne dabei sein konnte. Aber das Ziel sollte ja immer sein, alle Boulder klettern zu können und dann braucht man wohl oder übel beides.

Wie siehst Du die Entwicklung im Wettkampfsport in Deutschland? Bleibt man mit der jetzigen Betreuung der Athleten international mit am Ball oder muss das Ganze noch professioneller werden? In Slowenien und Österreich entstehen ja inzwischen Leistungszentren mit vollbesetzten Trainerstellen.

Jule Wurm: Volle Trainerstellen wären natürlich toll. Wie sich in den letzten Jahren aber gezeigt hat, bringen die Stützpunkte am meisten, an denen viele starke Kletterer zusammen trainieren – wie zum Beispiel in Innsbruck, Boulder (CO), Sheffield, Vrhnika, Paris. In Frankreich zum Beispiel wird den Wettkampfkletterern nahe gelegt, nach Paris zu ziehen, um dort am Stützpunkt mit dem Nationalteam zu trainieren. In Deutschland sind alle starken Kletterer über ganz Deutschland verteilt und können nicht vier Mal in der Woche miteinander trainieren, sondern sehen sich eher so einmal im Monat.

„An Wettkampftagen habe ich inzwischen meine eigenen Rituale“

Was bestimmt viele in der Kletter- und Bouldergemeinde interessiert: Wie bereitest Du Dich auf Deinen Wettkampftag vor? Da muss ja alles stimmen, alles auf den Punkt kommen! Das will man natürlich draußen bei einem Projekt auch haben!

Jule Wurm: Es hilft mir nicht, zu fixiert auf ein bestimmtes Ergebnis (wie Finaleinzug oder Treppchen) zu sein, sondern mir von Boulder zu Boulder aufs Neue vorzunehmen, hoch zu klettern und mein Bestes zu geben. An Wettkampftagen habe ich inzwischen meine eigenen Rituale. Morgens ’ne heiße Dusche, Frühstück (wenn in dem Hotel verfügbar, gerne mit Nutella), dann eine kurze Runde Yoga zum Wachwerden und dann geht’s meistens los zum Wettkampf.

Und wie schaffst Du es gleichzeitig, die Motivation über eine ganze Saison zu halten?

Jule Wurm: Bei uns Boulderern geht die Saison meistens nur zwei bis drei Monate, in denen man sehr viel unterwegs ist und meist nur mal kurz ein paar Tage zu Hause ist, um mal bei der Familie und bei Freunden vorbeizuschauen, Wäsche zu waschen und neue Koffer zu packen. Da vergeht die Zeit manchmal wie im Flug.

Du verbringst ja notwendigerweise viel Zeit in Kletter- und Boulderhallen. Was würdest Du als Kletterprofi sagen: Was ist – fürs Training – am wichtigsten an einer Kletter- oder Boulderhalle?

Jule Wurm Weltmeisterin, Europameisterin, Bouldern Foto Archiv Wurm
Jule Wurm hat aber auch noch ein Leben abseits der Wettkämpfe und zahllosen Trainingseinheiten. Wenn es die Zeit zulässt, dann fährt sie am liebsten nach Bleau, ins Tessin oder auch mal in die Staaten – zum Bouldern natürlich! Der Zunge, Jule’s Markenzeichen, geht es übrigens, trotz der Sorge vieler, nach wie vor sehr gut. | Foto: Archiv Wurm

Jule Wurm: Mir ist es beim Training wichtig, dass ich in der Halle Leute habe, die ich gerne mag, und dass nicht zu viel im Boulderbereich los ist. Außerdem finde ich ein gutes Campusboard und eine voll eingeschraubte steile Wand ziemlich essentiell zum Trainieren. Ansonsten gute Musik und guten Kaffee für zwischendurch.

Und wie ist das bei Dir: Dein Kletterpensum ist durchs Training sicher ziemlich durchgetaktet. Wie viel kommst Du draußen überhaupt noch zum Bouldern? Und wie oft zieht man sich eigentlich als Boulder-Weltmeisterin noch einen Klettergurt an?

Jule Wurm: Durch mein Studium komme ich eigentlich nur in den Semesterferien zum Felsklettern. Aber die koste ich dann meistens voll aus. Jan und ich fahren dann nach Bleau, ins Tessin oder fliegen in die USA. Den Klettergurt ziehe ich mir eher sporadisch an. Eigentlich klettere ich total gerne Routen, aber Jan ist nie motiviert mit mir zu klettern (lacht). Vor zwei Wochen war ich mit meiner besten Freundin eine Woche in der Türkei und habe in Geyikbayiri ein bisschen Höhenluft geschnuppert.

Und wenn Du dann draußen bist: in welchen drei Kletter- oder Bouldergebieten bist Du am liebsten?

Jule Wurm: Bleau, Tessin, Rocklands (war ich erst einmal, aber hat mir ziemlich gut gefallen).

„Und jetzt bin ich 24 und meiner Zunge geht’s immer noch gut“

Auf Fotos und in Videos sieht man Dich beim Bouldern oft mit der Zunge zwischen den Zähnen: Mal ehrlich: Wie oft hast Du Dich schon auf die Zunge gebissen?

Jule Wurm: Noch nie!!! Als Kind habe ich geturnt und habe da schon immer gesagt bekommen, dass ich aufpassen soll, dass ich mir nicht auf die Zunge beiße. Wenn ich mich konzentriere, habe ich die automatisch draußen, und wenn ich dann darauf angesprochen werde, ist mir nicht bewusst, dass ich die Zunge draußen hatte. Und jetzt bin ich 24 und meiner Zunge geht’s immer noch gut!

Zum Schluss noch eine grundsätzliche Frage: Ein Boulder-Block hat eine überhängende, schwere und eine geneigte, leichte Seite: Was für einen Grund gibt es, die überhängende hochzuklettern? Warum geht man nicht einfach das leichte Gelände nach oben?

Jule Wurm: Och, also ich bin ja auch eine sehr gute Leicht-Kletterin und kann ganze Bleau-Urlaube damit verbringen, 6b’s zu klettern. Aber so im Training reizen mich schon meistens die überhängenden Wände. Da kann man so richtig seine Grenzen austesten!

Vielen herzlichen Dank für das Interview, Jule. Ich drücke Dir für die kommenden Wettkämpfe kräftig die Daumen!

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Alles für den perfekten Kletterspaß findest du hier:

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