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Rassiger Walliser

Castor: Skitour auf einen Viertausender im Wallis

6 Minuten Lesezeit
Der Castor, ein hoher Skitouren-Gipfel an der schweizerisch-italienischen Grenze, gilt auf dem Normalweg als wenig schwieriger Viertausender. Und trotzdem zeigt der stattliche Riese manchmal, wo der Hammer über der 4.000-Meter-Marke hängt.
Richtung Rifugio Quintino Sella müssen wir die Ski 800 Höhenmeter tragen.
Richtung Rifugio Quintino Sella müssen wir die Ski 800 Höhenmeter tragen.

In den Westalpen gibt es zahlreiche Skitouren-Viertausender, die sich hervorragend als Saison-Abschlusstour eignen. Einer davon ist der 4.221 Meter hohe Castor, der von der italienischen Südseite eine rassige Tour darstellt, die oft bis Mitte Juni noch gemacht werden kann. Unbedingte Voraussetzung für die Besteigung von Süden zu dieser fortgeschrittenen Jahreszeit ist allerdings die Bereitschaft, die Ski über mehrere hundert Höhenmeter an den Rucksack zu schnallen.

Ski-Viertausender im Mai

Es ist Mitte Mai. Im Süden Deutschlands will der Regen einfach nicht aufhören, dazu ist es noch richtig kalt. Trotzdem, die Tour auf den Castor ist lange geplant und wir haben keine Lust, in der Stube hocken zu bleiben. Für die südlichen Westalpen ist das Wetter zudem recht gut angesagt – also ziehen wir die Sache durch. Über den Fernpass geht es nach Sankt Moritz, am Malojapass schneit es nasse Flocken. Bis zum Comer See begleitet uns das Wettergebräu, doch siehe da, Richtung Turin reißt es auf und wir sehen die Gipfel des Monte Rosa majestätisch herannahen.

Im Walserdörfchen Noversch im Val Gressoney gönnen wir uns in einer kleinen Wirtschaft ein günstiges, schmackhaftes und umfangreiches Menü mit reichlich Polenta. Wenig später schlagen wir noch in der Dämmerung neben einem Parkplatz im von Liftanlagen verschandelten Ausgangsort Staffal auf 1.823 Meter Höhe unser Zelt auf.

1.800 Höhenmeter bis zum Rifugio Quintino Sella

Auf 2800 Meter sind wir wieder in einer Winterlandschaft unterwegs.
Auf 2800 Meter sind wir wieder in einer Winterlandschaft unterwegs.

Nach einer Nacht bei Minustemperaturen sind wir schnell auf den Beinen, Kuchen und Instant-Kaffee fungieren als erste Energielieferanten. Die Südalpen haben wenig Schnee abbekommen, über zugefrorene Bäche und den wunderschönen Pfad Richtung Passo di Bettolina erreichen wir erst auf rund 2.600 Meter Seehöhe eine durchgehende Schneedecke. Die Sonne strahlt vom Himmel, heute haben wir Glück mit dem Wetter!

Über herrliche Firnhänge kommen wir langsam dem Gratrücken näher, der auch das 3.585 Meter hoch gelegene Rifugio Quintino Sella trägt. Die Skier kommen wieder an den Rucksack, und über eine gut ausgebaute, aber eingeschneite Steiganlage erreichen wir das stolze Rifugio, das wie ein Adlerhorst vor dem recht zahmen Felikgletscher thront. Was für ein fantastischer Ausblick Richtung Lyskamm, Monte Rosa und Val Gressoney.

Es weht ein steifer Wind, und wir machen es uns so gut wie es geht gemütlich. Die Hütte hat (wie wir wussten) bereits zu, und so erkunden wir den mehr oder weniger vorhandenen Komfort der alten Hütte, die als Winterraum fungiert. Seit dem Aufbruch in Stafal haben wir keine Menschenseele gesehen. Einsam ist es hier oben.

Mit fortschreitender Tageszeit wird klar, dass es schwierig werden wird, die zugige Alt-Hütte anständig warm zu bekommen. Wir haben aus Gewichtsgründen nur Hüttenschlafsäcke dabei und entschließen uns daher, das Nachtlager in der Küche direkt vor dem Herd aufzuschlagen, um zu fortgeschrittener Stunde schnell Holz nachlegen zu können. Keine allzu bequeme Nacht, trotzdem bekommen wir ein paar Stunden Schlaf ab.

Umdrehen auf 4.150 Meter

Im Morgengrauen gibt es für uns kein Halten, der Blick Richtung Felikjoch und Gipfel lässt hoffen. Bis auf 3.800 Meter ist der Felikgletscher freigeblasen, weiter oben in der Wanne unterhalb des Castor erwartet uns hingegen traumhafter Pulver. Leider beginnt es von der Nordseite zu wölken, erste weiße Fetzen umspielen den Gipfelaufbau.

Auf knapp 4.000 Metern machen wir unser Skidepot. Der Lockerschnee direkt unter dem Felikjoch erscheint uns zu bedrohlich für den im Sommer üblichen Direktanstieg. Wir holen daher nach rechts aus und erreichen die 4.088 Meter hohe Punta Felik noch bei Sonnenschein über den Südrücken. Neben uns erhebt sich majestätisch der Westgipfel des Lyskamm mit seinem elegant geschwungenen Westgrat.

Am Morgen geht es mit Blick auf den Lyskamm los.
Am Morgen geht es mit Blick auf den Lyskamm los.

Im Felikjoch (4.061 Meter) ist es dann soweit: Wir verschwinden in der von Norden heranstürmenden Wolkensuppe. Wir haben den ganzen Tag keinen einzigen anderen Menschen gesehen. Trotzdem können wir uns an alten freigeblasenen Spuren Richtung Gipfelgrat orientieren. Über einige kleine, aber beeindruckend tiefe Spalten geht es hinauf zum zunächst komfortabel breiten Grat, der jedoch schmaler und schmaler wird.

Die Verhältnisse gefallen uns nicht, auf dem Grat hat sich noch vor dem 4.192 Meter hohen Vorgipfel Reif-Schnee aufgetürmt, der schon bei leichter Belastung abbricht und in die (rechts und links ähnlich beeindruckende) Tiefe segelt. So ähnlich stelle ich mir das Material vor, durch das sich Cerro Torre-Aspiranten Richtung Gipfelpilz wühlen müssen. Ein unheimliches Gefühl kommt auf. Da die Hüttenschließung schon länger zurückliegt, sind wir wohl die ersten, die den Grat nach mehreren Tagen angehen. Eissschrauben setzen ist hier unmöglich, Firnanker haben wir keinen dabei, die Souveränität eines Bergführers kann ich nicht aufbieten. Schweren Herzens drehen wir 70 Höhenmeter unter dem Gipfel des Castor auf  ca. 4.150 Meter bei Wind und Null Sicht um. Die Verhältnisse haben uns auf diesem mit wenig schwierig (WS) bewerteten Viertausender heute eindrucksvoll gezeigt, wo der Hammer hängt. Trotzdem: Besser einmal zu viel umgedreht einmal zu wenig.

Abwechslungsreicher Abstieg nach Staffal

Etwas betrübt stiefeln wir die 200 Höhenmeter hinab zum Skidepot. Ab der Punta Felik wird es langsam wieder sonnig, die Windstille auf der Südseite tut gut. Der Tiefblick in den Talschluß des Val Gressonney und in den Frühling ist atemberaubend. Schnell werden die Ski angeschnallt. Nach einer mit traumhaften Pulver garnierten Abfahrt sind wir bereits gegen neun Uhr wieder an der erkalteten Hütte, wo es erneut zu winden beginnt. Das Wetter scheint nicht lange halten zu wollen und so machen wir uns nach einer Teepause sehr schnell wieder an den Aufbruch.

Langsam aber sicher hüllt sich auch die Südseite von Breithorn, Castor und Lyskamm in Wolken. Nach der Steiganlage sind wir direkt froh, dass wir 600 Höhenmeter durch feinsten Firn abfahren und vor dem Wettersturz flüchten können. Auch der allerletzte Schneeflecken wird noch mitgenommen, bis wir die Skier wieder an den Rucksack schnallen müssen.

Es beginnt zu nieseln, als wir schließlich das Auto erreichen, auch Donnern ist zu vernehmen. Wir haben das Zeitfenster gerade noch nutzen können. Auf der Fahrt Richtung Turin beginnt es zu gewittern. Die anschließende Fahrt über Mailand, Verona und den Brenner nach Hause ist nach diesen Bergstrapazen schlicht zu weit. Besser wäre es gewesen, wenn wir noch einen Tag mehr für die Heimreise eingeplant hätten.

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