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Wenn Mountainbiker Gravelbiker werden

Bikepacking vor der eigenen Haustüre

5 Minuten Lesezeit
Immer nur Mountainbiken oder kann es auch mal ein anderes Bike-Abenteuer sein? Bergzeit Autorin Lisa hat dafür einmal das Mountainbike stehen lassen und ist mit ihrem Gravelbike auf Bikepacking-Trip gegangen. Direkt von ihrer Haustüre aus.

Das Jahr 2020 hattee ich mir ganz anders vorgestellt. Wie so viele wahrscheinlich. Ich wollte im März gemeinsam mit Bergzeit zum Skitouren in die Abruzzen und dann wollte ich Ende April schon für eine Woche zum Mountainbiken auf Elba sein. Wochenendtrips nach Südtirol, Österreich und Slowenien natürlich noch gar nicht eingerechnet. Doch dann kam Corona. Und erstmal #bergzeitdaheim. Jetzt konnte ich also das Auto in der Tiefgarage lassen und mir etwas neues überlegen.

Mountainbikerin trifft Gravelbike

Denn was ich dazu sagen muss: Ich bin leidenschaftliche Mountainbikerin. Durch und durch. So bewege ich mich hauptsächlich auf eintägigen Mountainbiketouren, wo das Highlight jeweils ein anderer Trail ist. Große Strecken gehören da eher nicht dazu. Bis zu letztem Jahr. Denn irgendwie ist es schon immer in meinem Kopf herumgespukt: Einfach das Auto stehen lassen und aufs Rad steigen. Nur mit Rucksack, Lenker- und Rahmentasche. Abenteuer par excellence quasi.

Schnell und leicht und vor allem lang unterwegs sein: das wollte Bergzeit Autorin Lisa.

Lisa Amenda

Schnell und leicht und vor allem lang unterwegs sein: das wollte Bergzeit Autorin Lisa.


Geworden ist es dann erstmal ein ausgebauter Caddy. Abenteuer mit motorbetriebenem Untersatz. Und doch blieb dieses Gespenst in meinem Kopf. Diese Vorstellung davon, mit einem Rad unterwegs zu sein, das nicht an Asphalt gebunden ist, das ohne viel Gewicht und Vollfederung kein unnötiger Ballast auf langen Strecken ist und das auch gerne schnell gefahren werden will. Nur eben überall. In meinem Kopf manifestierte sich dieses Fahrrad zu einem Gravelbike. Dropbar-Lenker. Schmalere Stollenreifen und eine Geometrie, die an ein Rennrad erinnert, aber auf lange Strecken ausgelegt ist und daher ein bisschen gemütlicher zu fahren ist.

Im April 2019 zog dieses Gravelbike bei mir ein. War das Mountainbike mein Adventurebuddy für das Wochenende, war es das Gravelbike für den Alltag. Der Weg in die Arbeit von München nach Otterfing zu Bergzeit wurde zum Abenteuer. Füchse, Rehe oder Eichhörnchen teilten mit mir die Morgendämmerung. Pfützen, schmale Pfade und Radwege wurden zu meinem Arbeitsweg. Brachte das Mountainbike die Berge und die Action in mein Wochenende, blies mir das Gravelbike den Arbeitsalltag aus dem Kopf. Bis zum 12. März 2020. Denn da radelte ich vorerst das letzte Mal mit meinem Gravelbike von Otterfing für unbestimmte Zeit ins Homeoffice. Tschüss #extralongwaytowork, hallo arbeiten in Yogaleggings.

Flucht aus der Großstadt

Mit Corona, Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbot heißt es also #bergzeitdaheim. So habe ich vorerst die meiste Zeit auf meiner Yogamatte verbracht. Yoga für Mountainbiker muss man schließlich auch machen, um fit zu bleiben. Zwischendurch gehe ich immer wieder auf die Isartrails, um der Großstadt-Tristesse zu entfliehen. Doch wenn ich hier im Frühjahr und Sommer nur ein paar andere sehe, waren es im Lockdown fast viermal so viele. Jetzt hat also ganz München die Isartrails entdeckt. Mountainbiker, solche die es vor 20 Jahren mal waren und Familien mit Kindern, Hollandrädern und Einrädern. Kurz: die Isartrails sind voll. Von Kilometer 1 bis 20. Und so macht mir die Feierabendrunde auf meinem Allmountain immer weniger Spaß. Vielleicht doch wieder die dünnen Reifen?

Dropbar-Lenker, schmalere Stollenreifen und eine Geometrie, die an ein Rennrad erinnert: Das Gravelbike ist Lisas Alltagsflucht.

Lisa Amenda

Dropbar-Lenker, schmalere Stollenreifen und eine Geometrie, die an ein Rennrad erinnert: Das Gravelbike ist Lisas Alltagsflucht.


So fange ich an im Internet zu recherchieren. Nach Gravelrouten rund um München. Abwechslungsreich sollten sie sein. Mit ein bisschen Abenteuer gespickt. Aber irgendwie ist mir das alles zu kompliziert. Ich will einfach los. Raus. Nicht mehr an zuhause gebunden sein. Wenn ich schon nicht in die Berge kann, dann eben direkt von hier. Ohne viel Schnickschnack, ohne viel Nachdenken. Das Ziel? Der Eisautomat. Südlich von Weilheim mit Zwischenhalt am Kloster Andechs. Da war ich eh noch nie richtig. Hinter der Stadtgrenze habe ich nicht mehr das Gefühl, im Einzugsgebiet Münchens zu sein. Die Stadt ist lang vergessen und schmale Landstraßen führen mich durch bayerische Bilderbuchdörfer. Mit Streuobstwiesen und gelb blühendem Löwenzahn vor weiß-blauem Himmel. Kitsch pur also. Und doch hätte ich die verträumten Orte nie entdeckt, wäre jetzt nicht Corona, wäre jetzt nicht Ausgangs- und vor allem Reisebeschränkung. Genauso wie den Eisautomaten in Polling. Die 60 Kilometer Anreise haben sich für das Bio-Eis mehr als gelohnt. Und so geht es mit Eis und Brotzeit im Bauch wieder querfeldein zurück über Felder, Wiesen, Parkanlagen und vorbei an versteckten Waldseen bis Kloster Andechs und an den Ammersee. Einmal kurz die Füße ins kalte Frühjahrswasser hängen und bereit für die letzten 40 Kilometer machen.

Beliebtes Ausflugsziel auch unter Bikepackern: der Ammersee

Lisa Amenda

Beliebtes Ausflugsziel auch unter Bikepackern: der Ammersee


Der erste Bikepacking-Trip

Nach den ersten großen Graveltouren bin auch ich mir sicher: Ich bin bereit für weitere Strecken. Und so setze ich mich an meinen Laptop, logge mich in Komoot ein und starte mit der Planung eines mehrtägigen Trips. Oder auch: des Elternbesuchs. Wir starten in München und fahren über Augsburg bis nördlich von Ulm. Hier übernachten wir bei den Eltern von meinem Freund. Am nächsten Tag geht es von dort über die Westlichen Wälder bis ins Unterallgäu zu meinen Eltern. Und am dritten Tag wieder zurück. Was sonst eine meist langweilige Autofahrt auf zwei- oder dreispurigen Autobahnen geworden wäre, wird zum Abenteuer. Alles was wir brauchen, haben wir an unsere Räder geschnallt oder auf dem Rücken. Unterwegs decken wir uns mit Erdbeeren von regionalen Erdbeerhäuschen ein und essen sie am Straßenrand. Wir entdecken die Gegend vor unserer Haustüre und die Regionen, in denen wir aufgewachsen sind noch einmal neu. Alles was wir dafür brauchen? Ein Fahrrad, etwas Abenteuerlust und ein bisschen Zeit. Dann können sogar Mountainbiker zu Bikepackern werden. Direkt vor der eigenen Haustüre.

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