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Klein, aber oho!

Expressschlinge im Test: Ocun Kestrel

6 Minuten Lesezeit
Wie ein Schlüsselanhänger mutet die Ocun Kestrel Nano 8 an. Aber was wie die Miniaturversion einer Expressschlinge aussieht, ist eine vollzertifizierte Schlinge für ambitionierte Alpinkletterer und Speedbegeher mit ihren Vor- und auch Nachteilen.
Ocun Kestrel QD Nano | Foto: David Lochner
Leicht, schnell und klein – bei langen und anstrengenden Anstiegen und erst recht beim Klettern, wenn es auf jedes Gramm ankommt, kommen die Vorteile der Ocun Kestrel Nano 8 zum Tragen.

Nicht nur bei seinem neuesten Klettergurt, dem Ocun weBee, hat Ocun möglichst viel an Gewicht abgespeckt. Auch bei der neuen Ocun Kestrel Nano 8 Expressschlinge wurde bis ins kleinste Gramm optimiert. Klein, leicht und bunt ist die Expresschlinge als Bereicherung für alpine Vorstöße und ambitionierte Onsight-Begehungen gedacht: Wenn man – behangen mit allem möglichen Geklimper am Gurt und einem schweren Rucksack auf dem Rücken – in die nächste Seillänge einer Alpinroute hineinrobbt, freut man sich über jedes Gramm, das weniger nach unten zieht.

Im Alpinen gilt häufig der Grundsatz „weniger ist mehr“. Leichte und zuverlässige Ausrüstung ist ein großer Vorteil und oft erst der Schlüssel zu einer erfolgreichen Tour. Mit nur je 25 Gramm leichten Karabinern und weiteren 16 Gramm für die verbindende Dyneema-Schlinge kann die Expresschlinge Ocun Kestrel Nano 8 ihre Stärken in alpinen Routen voll ausspielen. Zugegeben, mental muss man mit der schlüsselanhänger-artigen Dimension der Expressschlinge erst einmal fertig werden, aber das ersparte Gewicht merkt man schon beim Aufstieg an weniger den belasteten Beinen. Beim Klettern wiederum ist der Unterschied deutlich an weniger gepumpten Unterarmen zu spüren.

Wie eine Große: Die Ocun Kestrel Nano 8

ocun Kestrel Nano 8 | Foto: Ocun
Erst dachte ich, ich hätte mich getäuscht als ich die Ocun Expressschlingen zum Testen per Post bekam: Ist das Paket leer? Sind die nicht ein bisschen zu klein? Damit soll ich jetzt klettern?! Wahrscheinlich geht es allen so, die die Ocun Kestrel Nano 8 das erste Mal in der Hand halten. | Foto: Ocun

Die maximalen Belastungswerte sind mit 23 kN längs, 8 kN quer und 7 kN offen (Anm. d. Red.: kN: ein Kilonewton = 1.000 Newton; Einheit für Kräfte bzw. der Gewichtskraft, die auf eine Masse von 100 Kilogramm wirkt) genauso gut wie bei den meisten anderen, „normal“ großen Karabinern. Das Handling – und das ist mein größter Kritikpunkt an den Ocun-Schlingen – ist aufgrund der Größe etwas gewöhnungsbedürftig. Der Karabiner ist einfach sehr klein dimensioniert, daher merkt man in der Praxis beim Alpinklettern relativ schnell Unterschiede zu herkömmlichen Expresschlingen.

Das Handling der Ocun Kestrel Nano 8 Expressschlinge

Zunächst ist mehr Umsicht geboten. Wenn man nicht aufpasst, rutscht einem schnell mal das Kletterseil oder eins der Doppelseile beim Versuch beide Seilstränge in den Karabiner einzuhängen über die Schnapperöffnung. Oder der Finger bleibt im Karabiner der Expressschlinge hängen. Mit der Zeit kommt die Übung und man wird immer geschickter beim reibungslosen Klippvorgang – also alles nur Gewohnheitssache.Gut ist, dass der Schnapper sehr geschmeidig und leichtgängig aufgeht.

Klettert man gerne A0, also technisch an den Hilfsmitteln in der Wand, ist die Ocun Kestrel Nano 8 nicht unbedingt die erste Wahl (Anm. d. Red.: Technisches Klettern bezeichnet beim Klettern die Zuhilfenahme von Haken, Seilen, Strickleitern etc., die zur Fortbewegung in der Wand genutzt werden.) Die genähte Bandschlinge und auch die Karabiner sind sehr dünn, daher ist es relativ anstrengend und zum Teil auch schmerzhaft sich an der Expressschlinge hochzuziehen. Reines Sportklettern mit Ausbouldern und technisches Klettern gehören also nicht zu den bevorzugten Einsatzgebieten der Ocun Expressschlinge. Schnelle onsight-Begehungen beim (alpinen) Sportklettern oder beim Alpinklettern sind eher das Terrain, in dem sich die Ocun Kestrel optimal beweisen kann.

Vor- und Nachteile der Ocun Kestrel Nano 8 Expressschlinge

Auch, dass die Karabiner konstruktionsbedingt an der Öffnung eine Nase haben, ist auf den ersten Blick nicht gerade ein Vorteil. An derartigen Nasen kann man beim Aushängen aus dem Haken oder aus dem mobilen Sicherungsmittel hängenbleiben. Bei der Kesterl Nano 8 kommt an dieser Stelle wieder die Größe der Karabiner ins Spiel: Da die Nase so klein ist, hatte ich beim Klettern in der Praxis kaum Probleme damit. Auch ist eher unwahrscheinlich, dass die Kestrel Nano 8 jemals Kontakt zu „normalen“ Klettergarten-Absicherungen haben.

Die genannten Nachteile beim Handling sind zu vernachlässigen, wenn man sich an die Dimension der Karabiner gewöhnt und dafür auf langen Alpinrouten und deren Zustiegen etwas weniger schleppen muss. Gerade im Expeditionsbereich oder bei sehr schwierigen Unterfangen ist die Ocun Kestrel Nano 8 in ihrem Terrain. Dort wo jedes Gramm zählt, der Anstieg schon lang, schwierig und extrem anstrengend ist, gehört die Ocun Kestrel Nano 8 Expressschlinge an den Gurt. Beim Plaisier-Klettern im Klettergarten ist die Expressschlinge mit ihrer Dimensionierung meiner Meinung nach einfach fehl am Platz.

Ocun Kestrel Nano 8 | Foto: David Lochner
Die Ocun Kestrel Nano 8 in ihrem Terrain in alpinem Gelände. Bei ambitionierten alpinen Sportklettervorstößen sind das die Expressschlingen, die man am Gurt haben sollte.

Die Expertenschlinge für hohe
Wände und schnelle Begehungen

Die Ocun Kestrel Nano 8 kann demnach als Expertenschlinge für alpine Begehungen gesehen werden. Überall dort, wo der Anspruch an Material kaum höher sein kann. Wo Gewicht und damit auch Geschwindigkeit das Vorhaben bestimmen, ohne Einsparungen an Sicherheit in Kauf nehmen zu müssen. Positiv aufgefallen sind mir und meinem Seilpartner die mit 15 Zentimetern relativ langen Dyneema-Schlingen zwischen den Karabinern, die die Seilreibung bei so manch typisch alpinem Routenverlauf deutlich vermindern. Außerdem verhindert der Drahtbügel ein Aufschnappen beim Anschlagen an die Wand und friert bei hochalpinen Bedingungen nicht so schnell ein. Die äußerst stabile und gleichzeitig leichte acht Millimeter Dyneema-Schlinge erfüllt alle Erwartungen für die Jagd nach dem letzten Gramm bei gleichzeitiger Festigkeit. Interessant ist, dass bei 20 Ocun Kestrel Nano 8 Expressschlingen (bei 56 Gramm) im Vergleich zu herkömmlichen Expressschlingen ungefähr ein Kilo Gewicht eingespart wird.

Apropos Sparen und Platz: Versieht man seine Camalots oder Friends jeweils mit einem Ocun Kestrel Nano 8 Karabiner, hat man wegen der kleinen Karabinerdimension deutlich mehr Platz an den Materialschlaufen am Klettergurt. Aufgrund der unterschiedlichen Farben der Karabiner gewinnt auch mehr Übersicht als mit herkömmlichen und gleichfarbigen Alu-Standardkarabinern. Auf diese Weise kann man abhängig vom Klettergurtmodell seine mobilen Sicherungsmittel, erstens im Gewicht reduzieren und durch die Platzerparnis auch ein komplettes Rack mitführen.

Fazit und Details zur Ocun Kestrel Nano 8 Expresschlinge

Für unsere Begehung der E.B. am Ross- und Buchstein war die Kombination aus Ocun weBee Klettergurt und Ocun Kestrel Nano 8 Expressschlinge ideal. Auf dem einstündigen Zustieg kann man sich durch den leichteren Rucksack schonen und anschließend beim Klettern ordentlich Gas geben. Die kleinen Nachteile beim Handling der Exen werden geringer, je mehr man sich daran gewöhnt. Für mich steht jedenfalls fest, dass ich diese Expressschlingen vor allem im alpinen Einsatz mit langen beschwerlichen Anstiegen benutzen werde. Gespannt bin ich, wie sich die Expressschlingen im Steileis oder in Mixed-Routen verhalten.

Einsatzgebiet: alpines Sportklettern, Alpinklettern, Expeditionsbergsteigen
Gewicht: 56 Gramm
Länge: 15 Zentimeter
Konstruktion: Warmgeschmiedeter Karabiner mit Wiregate, 8 Millimeter Dyneema Schlinge
Werte: Karabiner: 23 kN / 8 kN / 7 kN, Schlinge: 22 kN

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