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Den Teufel im Nacken

Mordor: Eisklettern im Reich der Schatten

6 Minuten Lesezeit
Mordor, der 300 Meter hohe Super-Eisfall in der Gasteiner Eisarena, ist der Schauplatz, an den sich Bergzeit Autor Axel Grusser zum Eisklettern heranwagt. Doch seine Tour verläuft anders als geplant ...

Die Schneeschuhe knirschen auf dem eiskalten Schnee im Anlauftal, als wir die Baumgrenze passieren und die ersten Blicke auf unser Ziel werfen können. Schluck! Der ist wohl noch steiler geworden seit unserem letzten Besuch? Auf jeden Fall schmaler und diesmal furchteinflößender. Mordor, der 300 Meter hohe Super-Eisfall in der Gasteiner Eisarena.

Eisklettern, eine legale Droge

Wieder mit Stefan, wie vor drei Jahren, mühe ich mich die tief verschneiten Hänge hinauf. Nachdem wir uns damals acht Stunden im spröden, glasigen Eis abgeplagt hatten, mussten wir kurz vor dem Ende der Hauptschwierigkeiten aufgeben. Sollten wir heute wirklich besser sein? Wir wissen es nicht und im Grunde genügt uns die Hoffnung besser zu sein. Die Zweifel werden unter dem Einstieg durch eine gehörige Portion Willenskraft ersetzt. Eine Willenskraft, wie sie nur aus einer Sucht hervorgehen kann. Bin ich also süchtig nach Eisklettern? Das scheint mir eine berechtigte Frage! Könnte ich absteigen und auf einen Versuch verzichten, ohne vorher ernsthaft zu scheitern?

Zustieg zum 300 Meter hohen Eisfall.

Axel Grusser

Zustieg zum 300 Meter hohen Eisfall.


Zustieg zum 300 Meter hohen Eisfall.

Axel Grusser

Beeindruckende Wand des Eisfalls.


Vorbereitung

Während Stefan mit seinen Schneeschuhen weiter unten am Hang kämpft, entleere ich meinen Rucksack am Einstieg, um mich vorzubereiten. Ich habe gerade die Mütze abgesetzt und die Fingerhandschuhe ausgezogen, als von oben eine dicke Pulverschneelawine geschossen kommt. Das kenne ich – dieses lose Pulver sieht nur beeindruckend aus, richtet aber keinen Schaden an. Umso erstaunter bin ich, als mich die Schneemassen mit voller Wucht treffen und ich Mühe habe, am Stand zu bleiben. Mit nassem Genick finde ich mich, bis zur Brust im Schnee wieder und versuche meine Ausrüstungsgegenstände im Schnee vor mir auszugraben. So wird man hier also begrüßt? Wie unfreundlich!

„Wenn so ein Ding beim Klettern runtergeht, dürfte es für den Vorsteiger schwierig werden, an der Wand zu bleiben“, muss ich Stefan bedenklich mitteilen, der gerade eintrifft und das Schauspiel aus sicherer Entfernung verfolgt hat. „Du hast Recht.“ Aber keiner von uns beiden denkt auch nur im Geringsten daran, wieder zu gehen.

Weiter unten am Hang nähert sich uns ein weiterer Mann und es dauert nicht lange, da steht er vor uns. Er heißt Klaus und seinem Partner geht es nicht gut, der will absteigen. Klaus ist total verzweifelt über seine missliche Lage, also fragt er, ob er mit uns klettern darf. Seine Augen sind gezeichnet von diesem Fieber. Es scheint, als wäre er vom Teufel persönlich gehetzt. Tief in ihm sitzt der Dämon, der ihn hier her getrieben hat, der auch uns getrieben hat, der ihn verzweifelt um ein Seilende bitten lässt. Absurd sinnlos sind seine Wünsche und trotzdem so hochgradig voller Lebendigkeit. Es ist eine böse Kraft, eine gefährliche Kraft, aber es ist pure Lebenskraft. Auf direktem Weg in die Finsternis und dann mit Vollgas in die Sonne! Eisklettern, deshalb sind wir alle hier.

Wir sind natürlich nicht begeistert zu dritt zu klettern, einigen uns aber dann darauf, dass wir nach der ersten Seillänge schauen, ob wir schnell genug sind.

Am Standplatz in Mordor, WI 5.

Axel Grusser

Am Standplatz in Mordor, WI 5.


Am Standplatz in Mordor, WI 5.

Axel Grusser

Kletterer nebenan im Supervisor, WI 6.


Start in eine andere Welt

Klaus bringt die ersten 50 Meter hinter sich, während sich Stefan fertig anzieht, dann steigen wir beide gleichzeitig nach. Es ist furchtbar kalt. Trotz der dicken Handschuhe bekomme ich taube Hände, Stefan hat noch dünnere Handschuhe. Als am Stand das Gefühl und damit die Schmerzen zurückkommen, kauert er kurz vorm Erbrechen, zusammengedrängt, winselnd auf dem Eis. Warum können wir keine Angler sein oder Schachspieler? Warum plagen wir uns hier in diesem Gefrierfach ab?

Stefan will abseilen, aber wir motivieren ihn und als sich seine Hände erholt haben, ist er bereit zu bleiben. Ich steige die nächste Seillänge vor, die Kälte und der Rucksack machen das Klettern nicht leicht. Als ich den Stand baue, steht fest, dass Stefan abseilt. Ich bin sehr unentschlossen, weil das hier unsere Tour ist, aber ich habe das Gefühl, dass wir so schnell nicht wieder hier landen. Wenn ich den Mordor klettern will, muss ich es also heute tun. Es soll so sein. Er wünscht uns viel Erfolg, seilt ab und quert zu den Freunden am Federweiß-Fall.

Aus drei mach zwei

Klaus ist 21 und wie alle Süchtigen hoch motiviert für seine Erlösung alles zu geben. Er nimmt die nächste Seillänge, die Schwerste von allen, an deren Ende wir vor drei Jahren kapitulieren mussten. Diese Seillänge, 50 Meter senkrechtes, hartes Eis, behandelt den Eiskletterer nicht gerade sehr lieb. Beim Rein- oder Rausdrehen jeder einzelnen Eisschraube drohen die dicken Arme zu platzen. Die darauf folgende Länge ist etwas leichter, aber mit den ausgequetschten Knochen fühlt sie sich fast ebenso schwer an. Die körperliche Verfassung wird jetzt spürbar stetig schlechter und ich muss vor Erschöpfung eher Stand machen als geplant. Die Zeit verstreicht und wir beginnen uns Sorgen zu machen, weil wir so spät eingestiegen sind.

Während wir zwischen immensen Eispilzen ins endgültig flachere Gelände kommen, beginnt es bereits zu dämmern. Ein Versuch, vorzeitig nach links auszusteigen misslingt, also klettert Klaus bis zum bitteren Ende gerade nach oben. Als ich mit Nachsteigen beginne, weist mir bereits die Stirnlampe den Weg durch die Dezemberfinsternis. Das Gelände am Ausstieg ist angsteinflößend. Es ist steil und es gibt keine solide Verankerung. Stattdessen steht Klaus im hüfttiefen, steilen Pulverschnee und sichert mich über den dünnen Zweig eines Strauches. Inzwischen ist es stockdunkel. Weil das Gelände so steil ist, bleiben wir angeseilt und mühen uns links querend in flacheres Gelände. Der Abstieg liegt noch vor uns. Kann man hier biwakieren, bei 14 Stunden Dunkelheit? Nein, lieber nicht daran denken, wir müssen den Höhkarsteig finden!

Mit viel Glück zurück zum vereisten Parkplatz

Wir bleiben angeseilt, denn das Gelände ist steil und es liegt enorm viel Schnee in den Hängen. Wir haben viel Glück, oder einen guten Riecher, denn als wir nach langem Zickzack-Abstieg auf einer Felskanzel stehen und in der Nacht Orientierung suchen, erkennen wir im Stirnlampenlicht die Spuren am Ausstieg vom Federweiß-Fall und damit den Höhkarsteig, der von hier ins Kar hinunter führt. Das Stahlseil leitet uns querend in flacheres Gelände.

Nach insgesamt 12 Stunden schmeiße ich meinen Rucksack auf den vereisten Parkplatz und denke an den Glühwein, den ich dann trinken will. Morgen ist für mich Ruhetag, meine Gliedmaßen werden schmerzen, soviel steht fest. Und wie jeder andere süchtige Eiskletterer werde ich morgen in den alten Kreislauf zurückfallen.Übermorgen werde ich wieder im steilen Eis klettern. Ich werde froh darüber sein, dass meine Droge legal und immer noch preiswerter als die meisten anderen ist. Und wie jeder andere Süchtige werde ich wieder Momente erleben, in denen ich mir wünsche, endlich clean zu sein.

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