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Bergsteiger-Traum aus Granit

Besteigung des Cerro Torre in Patagonien

10 Minuten Lesezeit
Um den Cerro Torre kreisen viele Bergsteigerträume. Auch Uwe Daniel und Falk Liebstein sind schon lange vom schroffen Granit Patagoniens fasziniert, als ihr Traum endlich wahr werden soll. Eine Besteigung über die Westwand in zwei Anläufen.

Der Cerro Torre: Granitberg in Patagonien

Der Cerro Torre liegt im nördlichen Teil des argentinischen Nationalparks Los Glaciares in Patagonien an der chilenisch-argentinischen Grenze. Ausgangspunkt für den Zustieg zu den eindrucksvollen Granitfelsen von Cerro Torre und Fitz Roy ist das kleine Örtchen El Chaltén an deren Fuße.

Dank dieser Basis sind Wander- und Bergtouren in Patagonien schon lange keine Expeditionen mehr. Wer hierher in die Wildnis kommt, findet eine vollständige Versorgung mit allem, was man sich wünschen kann.

Beste Reisezeit fürs Bergsteigen

Ein Eiskletterer in einer Rinne
Nicht immer herrscht am Cerro Torre eitel Wonne Sonnenschein. Das Wetter ist Knackpunkt für Touren am patagonischen Eis und Fels. | Foto: Uwe Daniel

Fürs Bergsteigen in Patagonien geht die Saison in etwa von November bis Februar. Gute Alpinisten kommen schon am Anfang der Saison, also November, die meisten anderen im Dezember. Man sollte einige Wochen Zeit einplanen, um auf gutes Wetter zu warten.

Im patagonischen Winter (also in den Monaten April bis Oktober) ist nicht viel los rund um den Cerro Torre. Es gibt aber auch sehr seltene Winterbegehungen, zum Beispiel von Profibergsteiger Stephan Siegrist.

Das Wetter in Patagonien: Unberechenbar

Wenn es in Patagonien etwas gibt, das über Erfolg oder Misserfolg eines Bergabenteuers entscheidet, dann das Wetter: „Schlechtes Wetter“ bedeutet in dieser entlegenen Region im Süden des südamerikanischen Kontinents Sturmböen bis 200 Stundenkilometer. An den blanken Felswänden der Granittürme sind sie problemlos in der Lage, Menschen und Ausrüstung senkrecht in die Luft zu schleudern. Die Stürme kommen blitzartig auf, toben zwei bis drei Tage, um anschließend ebenso rasch wieder strahlendem Sonnenschein Platz zu machen. Jede Tour in Patagonien ist daher ein Spiel mit dem Wetter.

Während der häufigen Schlechtwetterperioden bietet El Chaltén Zuflucht und wird zum Warteraum für Bergsteiger und Kletterer. Sie versammeln sich auf Barhockern oder Loungesesseln und harren gespannt dem nächsten Lichtblick im Wolkengrau. Sobald der graue Himmel ein erstes Fitzelchen Blau entblößt, wird emsig gepackt. Kaum kündigt die Wettervorhersage gutes Wetter an, muss alles bereit sein: Kletterausrüstung, Verpflegung und Equipment für kalte Nächte in den Felswänden verschwinden flugs in großen Haulbags und Rucksäcken, die dann in Richtung der Felsmassive wackeln.

El Chaltén: Alternativen zum Warten

Schlechtes Wetter zum Bergsteigen bedeutet nicht, dass man nicht zum Sportklettern oder Bouldern gehen kann. Auf der anderen Seite des Flusses in El Chaltén gibt es Sportklettertouren und hinter dem Ort Bouldermöglichkeiten in Wurfweite. Oft hängen nur die Berge im Dunst und der Wind ist zu stark. Da Chaltén aber im Windschatten liegt, hält man es dort meist gut aus.

Einheimische verbringen die Wartezeit auf besseres Wetter nicht in Chaltén, sondern weiter im Norden. Je weiter nördlich desto angenehmer das Klima. Viele sind zum Beispiel in Bariloche beim Klettern und beobachten von dort den Wetterbericht. Sie legen aber bereits vorher Materialdepots an und bereiten in Chaltén alles vor. Wenn das Wetter dann gut wird, fahren sie sofort zurück (Bus oder Flugzeug). Am Ende ist das häufig günstiger, als im teuren Chaltén abzuhängen.

Alle Infos auf einen Blick

  • Beste Jahreszeit: Dezember bis Mitte März
  • Anreise: Vom patagonischen Touristenhub El Calafate (auch mit dem Flugzeug erreichbar) in 2,5 Stunden mit dem Bus nach El Chaltén.
  • Übernachtung: In El Chaltén finden sich jede Menge Hostels, Appartments und Campingmöglichkeiten.
  • Kletterführer: Patagonia Vertical von Rolando Garibotti und Dörte Pietron. Sehr guter Kletterführer, hier findet man alle wichtigen Infos zu Übernachtung, Wetter, Zustiegen, Camps etc.
Granitfelsen des Cerro Torre mit Schnee bedeckt bei blauem Himmel
Der Stoff, aus dem Bergsteigerträume sind: schroffer Granit und bizarres Eis am Cerro Torre in Patagonien. | Foto: Uwe Daniel

Der Traum vom Cerro Torre

Wie jeder Traum hat auch unserer einen Anfang. Er begann mit einem Poster an der Wand einer Studentenbude: Der Cerro Torre in seiner ganzen Pracht! Immer wieder zog das Bild unsere Blicke auf sich, auf die unwirklichen Felstürme und die schroffe Landschaft. Immer wieder weckte es die Sehnsucht nach Abenteuer – auch wenn damals außer Frage stand, dass wir tatsächlich einmal am Fuß des Cerro Torre stehen würden. Umso mehr freue ich mich, als Falk 2010 für einen Versuch am Cerro Torre einen Kletterpartner sucht. Natürlich lasse ich mich nicht lange bitten.

Unser gemeinsames Ziel ist die abgelegene Westwand des Cerro Torre, durch die 1974 aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Erstbesteiger auf den Gipfel gelangten. Bis 2010 hatte die Route gerade mal 15 Begehungen erlebt und so ist es für uns alles andere als leicht, Informationen über die auch „Via dei Ragni“ genannte Tour zu bekommen. Letztlich müssen wir selber ran, denn nichts ist besser und informativer als vor Ort zu recherchieren – am besten gleich in der Wand!

Zustieg

Die Westseite des Cerro Torre ist zum patagonischen Inlandeis exponiert, daher gestaltet sich bereits der Zustieg aufwändig und äußerst anstrengend. Wir entscheiden uns am Silvestertag 2010 für einen Pass am Cerro Standhardt, um den Einstieg auf der Westseite des Torre zu erreichen.

Schwer bepackt starten wir los und benötigen einen ganzen Tag, bis wir am Abend einen kleinen Felsabsatz erreichen – unser Nachtlager, oder nennen wir es lieber Biwak. Den ganzen Tag haben wir keine Menschenseele gesehen. Als wir aus dem „Circa de Los Altares“ bei untergehender Sonne auf das patagonische Inlandeis blicken, nehmen wir die Ruhe und die Einsamkeit mit jedem Atemzug der immer kälter werdenden Luft in uns auf.

Erster Versuch an der Westwand (Ferrari-Route)

Die Nacht ist kurz und bereits am nächsten Morgen warten die ersten eisigen Seillängen hinauf zum Sattel der Hoffnung. Dann führt uns unsere Route an die erste wirkliche Schlüsselseillänge: Eine senkrechte und abweisende Eisformation, die verharmlosend „der Helm“ genannt wird, bildet je nach Bedingungen die erste Barriere auf dem Weg nach oben.

Aus den wenigen vorhandenen Informationen wissen wir, dass es unter Umständen möglich ist, im Inneren der Eisformation in einem Tunnel nach oben zu klettern. Bei dieser Vorstellung wird uns zugegeben etwas mulmig. Zunächst müssen wir in der teils überhängenden und mit meterdickem Raureif bedeckten Eisschicht den Einstieg finden. Auf den ersten Blick erscheint uns das fast unmöglich, aber wenn vier erfahrene Augen die Wand nach verräterischen Strukturen absuchen und sich ein Quäntchen Glück nicht bitten lässt, ist alles möglich.

Tatsächlich findet Falk den kleinen, nur vier Fuß breiten Einstieg in einen Eistunnel, der uns nach oben führt. Wir kommen beide auf „dem Helm“ an und sind froh, damit die erste Schlüsselpassage der Cerro Torre Westwand geschafft zu haben. Jetzt haben wir auch Sicht auf den nächsten Abschnitt der Route und die zweite von insgesamt drei Schlüsselpassagen.

Das Wetterfenster schließt sich – Abbruch der Besteigung

Sorgenvoll blicken wir auf die vom Starkwind geformten Linsenwolken, die meist Vorboten einer Schlechtwetterfront sind. Den ganzen Tag hatten wir mit extremen Winden zu kämpfen, die es uns zum Teil unmöglich machen, stabil im Stand zu stehen. Jetzt bleibt uns nur, das Beste zu hoffen.

Eine Schneeschaufel im Schnee bei Sonnenuntergang
Insgesamt fünf Tage und vier kalte Biwaknächte sind wir rund um den Cerro Torre unterwegs. | Foto: Uwe Daniel

Nach ein paar weiteren Seillängen müssen wir im Eisschlag des Nachmittages einsehen, dass wir es nicht schaffen werden. Es sind nur noch 300 Meter, die uns vom Gipfel des Cerro Torre trennen, aber wir entscheiden uns richtig. Zu stark sind die Winde und zu eindeutig die Zeichen, die uns zur Umkehr bewegen. Das Risiko in der Felswand wird einfach zu hoch, für den folgenden Tag ist der Wetterumschwung angekündigt. Im letzten Licht des Tages beginnen wir im Schein unserer Stirnlampen den Abstieg.

Zurück durch den stockfinsteren Eistunnel geht es weiter hinab in Richtung Sattel der Hoffnung. Inzwischen sind wir eingehüllt in dichte Wolken, Dunkelheit umgibt uns. Nach nunmehr drei Tagen ohne erholsamen Schlaf haben wir Angst, beim Abstieg einen folgenschweren Fehler zu machen und richten uns für ein weiteres Biwak inmitten der Westwand ein. Eine Schneekuhle dient als Schutz vor dem eisigen Wind, der immer heftiger zu blasen anfängt. Früher als erwartet schließt sich das Wetterfenster. An Schlaf ist in dieser Nacht nicht zu denken.

Erschöpfender Abstieg

Ein Kletterer in einer Eiswand des Cerro Torre
Zweiter Versuch zwei Jahre später: Falk auf dem Weg zum Gipfel. Der Eispilz des Cerro Torre-Gipfels rückt Meter um Meter näher. Die „Half Pipe” führt unweigerlich nach oben. | Foto: Uwe Daniel

Am nächsten Morgen ist der Sturm vorbei, doch dichter Nebel macht jede Bemühung sich zu orientieren zwecklos. Aufmerksam beobachten wir die Umgebung, um keine kurze Auflockerung zu verpassen. Ein winziger Blick in die Ferne würde uns schon weiterhelfen. Wir haben Glück! Der kurze Ausblick wird uns gewährt und wir erreichen nach zehnstündigem Abstieg wieder den Circo de los Altares.

Mit der Ankunft am Inlandeis ist die Tour noch nicht zu Ende. 35 Kilometer sind es zurück in die Zivilisation. Unser Verpflegungsplan ist auf drei Tage ausgelegt, der Rucksack leer, die kraftgebenden Rationen aufgebraucht. Erschöpft entscheiden wir uns für den längeren, dafür einfacheren, Rückweg über den Paso Marconi. Der steile Pass am Cerro Standhardt erscheint uns im Hinblick auf unsere körperliche Verfassung als zu schwierig und zu gefährlich.

Am Ende des vierten Tages graben wir uns erneut eine Höhle in den schützenden Schnee. Aus Gewichtsgründen besteht unsere Biwakausrüstung aus einer Rettungsdecke, je einer Daunenjacke und einem Stück Isomatte. Etwas richtiges zu Essen gab es schon lange nicht mehr und so besteht unser Abendbrot aus der letzten Tütensuppe.

Nach einem weiteren Tag erreichen wir endlich eine schützende Hütte am Lago Electrico. Erschöpft ruhen wir aus. Richtige Lust wieder Bergschuhe anzuziehen, verspüre ich erst Monate später.

Zwei Jahre später am Cerro Torre: Der zweite Versuch

Auf den Tag genau zwei Jahre später stehen Falk und ich wieder 300 Meter unter dem Gipfel des Cerro Torre. Erinnerungen kommen hoch, doch diesmal stehen die Karten besser. Dennoch: Während wir unser Biwak für die Nacht einrichten, ist unsere größte Sorge ein erneuter Wettersturz, der hier in Patagonien aus heiterem Himmel kommen und jegliche Planung über den Haufen werfen kann. Jeder sachte Windstoß lässt uns das Schlimmste befürchten und wir beschließen einfach optimistisch zu bleiben. Zumindest die Wetterprognose verspricht beständigere Bedingungen als zwei Jahre zuvor. Es muss einfach halten! Mit Vorfreude blicken wir im letzten Licht des Tages über das Inlandeis. Immer wieder nicken wir ein und fallen in leichten Schlaf. Das Wetter hält!

Am nächsten Morgen schlägt Falks Stunde. Endlich! Er meistert die letzte Schlüssellänge auf den Eispilz des Cerro Torre. Meter für Meter erobert er den Berg im steilen Eis, dreht Schraube für Schraube in das fast hellblaue Kristall. Falk scheint jede Bewegung in vollen Zügen zu genießen, vorbei an bizarren Strukturen, die auf dem Weg zum Gipfel immer groteskere Formen annehmen. Dann ist der Gipfel erreicht: ein laues Lüftchen, beste Sicht und die Zeiger der Uhr auf zwölf Uhr mittags. Besser kann es nicht laufen! Wir sind glücklich hier oben stehen zu dürfen und genießen den Ausblick bei bestem Wetter.

Landschaft aus Eis, Fels und Schnee - Blick vom Gipfel des Cerro Torre
Der Traum hat sich erfüllt: Blick vom Gipfel des Cerro Torre. | Foto: Uwe Daniel

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