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Umweltfreundlich auf Skitour – der DAV klärt auf

10 Minuten Lesezeit
Wenn in der Skitouren-Saison endlich Schnee liegt, ist die Freude der Skitourenfans kaum zu bremsen. Doch was des einen Freud' ist des anderen Leid. Insbesondere bei stark frequentierten Feierabendtouren werden Tiere und Umwelt von Skitouristen gestört.

Bergzeit Autor Arnold Zimprich hat sich mit Roman Ossner, Mitarbeiter für Umwelt-Natur bei der Sektion München des DAV, und Florian Bossert, dem Gebietsbetreuer Mangfallgebirge, über die jüngsten Entwicklungen im Skibergsteigen unterhalten.

Paradebeispiel für die “Übernutzung” durch Skibergsteiger ist der 1.670 Meter hohe Hirschberg südlich des Tegernsees. Durch professionell organisierte Skitourenabende hat es in den vergangenen Skisaisonen einen regelrechten Ansturm auf den Berg gegeben, dessen unterste Hänge durch ein kleines Skigebiet erschlossen sind. Doch nicht nur diese Entwicklung ist kritisch zu bewerten – immer mehr Modeberge im Münchner Einzugsraum erleben regelmäßig einen Skitouren-Run, dessen Folgen auf die Natur schwer abzusehen sind. Die Folgen des Skitourenbooms für die Um- und Tierwelt sind insbesondere bei den beliebten Feierabendskitouren für einzelne Skitourengeher kaum sichtbar. Man tut etwas Gutes für den Körper – was daneben passiert, wird aus „Spaß an der Freud‘“ wenig beachtet.

Bergzeit Magazin: Herr Ossner, der Alpenverein befindet sich in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite propagiert er den Berg- und damit auch Skitourensport, auf der anderen Seite sieht er sich als Umweltschutzorganisation. Wie bewältigen Sie diesen „Spreizschritt“?

Roman Ossner: Das eine schließt das andere ja nicht aus. Skibergsteigen zählt zu den Kernsportarten des Alpenvereins. Gleichzeitig kann man sich in der Natur so verhalten, dass ein rücksichtsvolles Miteinander möglich ist. Dies gilt nicht nur für das Miteinander der Menschen, sondern eben auch für einen respektvollen Umgang mit der Natur.

In hochfrequentierten Gebieten markieren Wald-Wild-Schongebiete sensible Naturräume, die von Wintersportlern gemieden werden sollen – eine freiwillige Lenkungsmaßnahme.

Roman Ossner, Mitarbeiter für Umwelt-Natur bei der DAV Sektion München
Skitourensport und Umweltschutz schließen sich nach dem Deutschen Alpenverein nicht aus.

Bergzeit

Skitourensport und Umweltschutz schließen sich nach dem Deutschen Alpenverein nicht aus.


Naturräume meiden, wo Wildtiere Schutz suchen

Wie steht die Sektion München zu den Feierabendskitouren – und wo sehen Sie die prägnantesten Konfliktpunkte?

Das Konfliktpotential geht nicht von der Art der Skitour aus, sondern vom Benutzerdruck. Ein einzelner Skitourengeher macht weder tagsüber noch nachts Probleme. Der große Andrang vieler Skitourengeher bringt den Naturraum jedoch an seine Belastungsgrenze – sowohl tagsüber als auch nachts. Nachts verschärft sich die Situation zusätzlich. Moderne Stirnlampen ermöglichen es, einen sehr weiten Bereich auszuleuchten und somit über den unmittelbaren Handlungsraum hinaus für Störung zu sorgen, wenn man beispielweise – unabsichtlich – ins Unterholz leuchtet. Hinzu kommt, dass die Außentemperaturen niedriger sind und somit jede Flucht der Wildtiere zusätzliche Energie kostet. Genau hier müssen wir ansetzen und versuchen durch sinnvolle Lenkungsmaßnahmen klare Spielregeln zu definieren, die sowohl für den Wintersportler als auch die Wildtiere vertretbar sind, tags wie nachts. In Fahrgemeinschaften, mit den Öffentlichen oder im Bus als Gruppe zu einer Feierabendskitour aufzubrechen, ist grundsätzlich nicht verwerflich. Voraussetzung ist, dass man sich an die geltenden Regeln hält und sensible Naturräume meidet, dort wo Wildtiere nachts Schutz suchen.

Voraussetzung ist, dass man sich an die geltenden Regeln hält und sensible Naturräume meidet

Roman Ossner, Mitarbeiter für Umwelt-Natur bei der DAV Sektion München

Herr Bossert, was bereitet ihnen speziell am Hirschberg Sorgen?

Florian Bossert: Am Hirschberg befindet sich ein bedeutender Lebensraum der Raufußhühner – im unteren, bewaldeten Teil das Auerhuhn und im oberen, offenen Latschenbereich das Birkhuhn. Beide Vogelarten sind vom Aussterben bedroht und streng geschützt. Die negativen Auswirkungen von Störungen auf die Raufußhühner wurden in den letzten Jahren am Hirschberg vielfach dokumentiert. Aber auch im Rotwandgebiet oder in den Blaubergen ist die Störwirkung besonders in der tageszeitlich (in der Dämmerung) und jahreszeitlich kritischen Zeit (Winter und Balz-/Brut-/Aufzuchtzeit) enorm. Raufußhühner sind an kaltes und raues Klima angepasst – die Ernährung stellen größtenteils energiearme Knospen und Triebe von Nadelbäumen oder -sträuchern dar. Daher nimmt die Zeit für Nahrungsaufnahme so viel Raum ein.

Werden sie aufgescheucht, fliegen Birkhühner meist talwärts und müssen anschließend wieder mühsam zu Fuß aufsteigen.

Florian Bossert, Gebietsbetreuer Mangfallgebirge

Denn gerade im Winter finden sie oft nur an den abgeblasenen Graten und Kammbereichen genügend Nahrung. Der Hirschberg als ganzjährig beliebter Gipfel erfährt hier einen besonderen Andrang, besonders auch in den Morgen- und Abendstunden. Sei es die Feierabendskitour mit Stirnlampe oder der Berglauf zum Sonnenaufgang. Auch um dem Besucheransturm auszuweichen, werden vielfach die Morgen- und Abendstunden genutzt, genau die Zeit, die für die Wildtiere zur Nahrungsaufnahme so wichtig ist.

Werden Birkhühner von Sportlern aufgescheucht, fliegen sie talwärts und müssen mühsam zu Fuß wieder aufsteigen.

H. Werth

Werden Birkhühner von Sportlern aufgescheucht, fliegen sie talwärts und müssen mühsam zu Fuß wieder aufsteigen.


Schützen wir das Birkhuhn, können wir viele andere Arten erhalten

Wie erklären Sie einer wenig sensibilisierten Person, warum die dort lebenden Tiere (und Pflanzen) schützenswert sind?

Die Berge sind kein Fitnessstudio, sondern wir bewegen uns hier im Wohnzimmer von Wildtieren. Jedes Lebewesen nimmt in diesen komplexen Ökosystemen einen Platz ein. Wenn ein Tier oder eine Pflanze verschwindet, gerät dieses Ökosystem in Ungleichgewicht, da andere von diesem abhängen. Auch wir sind Teil davon und spüren die Auswirkungen am eigenen Leib. Artenschutz sollte uns allen wichtig sein und auch aus unserem eigenen Interesse beschäftigen. Das Birkhuhn ist eine Schirmart, die für die halboffene Berglandschaften mit Almweiden und lichten Bergwäldern steht. Eine Schirmart definiert sich dadurch, dass sie als Indikator für ein intaktes Ökosystem fungiert. Geht es einer Schirmart gut, kann man davon ausgehen, dass es auch den meisten anderen Arten in einem Gebiet gut geht. Schützen wir das Birkhuhn, so können wir auch viele Arten der bayerischen Alpen erhalten, welche ebenfalls auf genau diesen Lebensraum angewiesen sind. Darunter viele Vogelarten, Schmetterlinge und Pflanzen. Früher auch in den Mooren weit verbreitet, hat das Birkhuhn in den bayerischen Alpen inzwischen sein letztes größeres Rückzugsgebiet in Bayern. Im Flachland ist es bereits ausgestorben.

Die Berge sind kein Fitnessstudio, sondern wir bewegen uns hier im Wohnzimmer von Wildtieren.

Florian Bossert, Gebietsbetreuer Mangfallgebirge

Lässt sich die Situation am Hirschberg auf andere Gebiete in den bayerischen Voralpen übertragen?

Die Situation am Hirschberg lässt sich auf viele Orte in den bayerischen Alpen übertragen. Denn leider überschneiden sich die Lebensräume der Raufußhühner, speziell der des Birkhuhns, sehr stark mit dem Aktionsradius der Skibergsteiger und Schneeschuhgeher. Überall dort, wo dies der Fall ist, versuchen wir mit Routenbeschilderungen, Schon-/Schutzgebieten und Information im Gelände das Tourengehen so zu lenken, dass Skibergsteigen und Wildtierschutz im Einklang funktionieren. Unser Appell: Auch mal auf einen schönen Pulverhang verzichten, an die tageszeitlichen Empfehlungen halten und zuerst überlegen, ob die Tour naturverträglich ist, wenn man einer Spur folgt.

Gebietsbetreuer Florian Bossert klärt am Hirschberg über Wildschongebiete auf.

Deutscher Alpenverein

Gebietsbetreuer Florian Bossert klärt am Hirschberg über Wildschongebiete auf.


Herr Ossner, Skitourengeher werden zum Teil in Bussen ins Tegernseer Tal kutschiert, um „Feierabendskitouren“ gehen zu können. Einzelne Hütten in Skigebieten öffnen eigens für Nachtskitourengeher. Wo liegen bei dieser Entwicklung die Gefahren?

Roman Ossner: Jede Mode-Erscheinung kann kritisch hinterfragt werden. Hier sind oft mangelnde Erfahrung und Gruppendynamik im Spiel. Im Falle eines Unfalls kann es zu erschwerten Bergungsbedingungen kommen. Wildtiere haben gerade während der Dämmerungszeiten die einzigen Möglichkeiten, Nahrung aufzunehmen. Weitet sich der Nutzerdruck aus, schwindet der Lebensraum der Wildtiere. Die Gefahr ist, dass wir unseren geliebten und geschätzten Naturraum verlieren, da wir ihn überstrapazieren. Was uns bleibt, ist eine ganzjährig leere Kulisse.

Im Rahmen des Konzepts „Umweltfreundlich Skibergsteigen“ führt der Alpenverein in sensiblen Gebieten Lenkungsmaßnahmen durch. Müsste noch mehr reguliert werden?

Grundsätzlich taucht die Frage überall dort auf, wo der Freizeitdruck besonders hoch ist oder der Naturraum hochsensibel ist. Die Lenkungsmaßnahmen des Alpenvereins beruhen grundsätzlich auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, da das freie Betretungsrecht in Bayern ein unschätzbar wertvolles Geschenk der Bayerischen Verfassung an die Bürgerinnen und Bürger ist. Verbote und Sanktionen können nur von Behörden ausgesprochen werden. Steht ein Verbot zur Diskussion, muss man sich den Einzelfall ganz genau anschauen und die verschiedenen Argumente abwägen. Es kann sein, dass Verbote und Sperrungen Sinn machen, wenn das ökologische Überleben einer Region von sensiblen Gebieten abhängt. Nicht jeder Gipfel oder jeder Hang muss zur jeder Zeit von jedem befahren werden. Als Naturschutzverband stehen wir hinter dieser Entscheidung.

Als Birkhuhn fragt man sich, wann habe ich mal Feierabend?

Welche Verhaltensweisen empfiehlt die Sektion München Feierabend-Tourengehern?

Daheim bleiben, keine Anreise, keine Emissionen und keine Störung der Wildtiere ;-). Nach Sonnenuntergang wird zugesperrt und jeder macht mal Feierabend. Versetzt man sich in die Situation der Wildtiere muss man sich vorstellen, dass einem tagsüber die Skitourengeher durchs Wohn- und Esszimmer und abends durchs Schlafzimmer brettern. Als Birkhuhn fragt man sich, wann habe ich mal Feierabend? Feierabend-Skitour sollen etwas ganz Besonderes sein. Der übermäßige oder teilweise zwanghafte Konsum an Feierabendskitouren entspricht jedoch nicht unserer Nachhaltigkeitsvorstellung und ist kritisch zu hinterfragen.

Birkhühner sind sensible Tiere, die wie wir einfach mal Feierabend machen wollen – ohne Skitourengeher im Schlafzimmer.

Florian Bossert

Birkhühner sind sensible Tiere, die wie wir einfach mal Feierabend machen wollen – ohne Skitourengeher im Schlafzimmer.


Herr Bossert, das Tegernseer Tal leidet nicht nur im Winter unter dem Ansturm der Besuchermassen. Ist die Nähe einer Millionenstadt wie München für das Tal eher Fluch oder Segen?

Florian Bossert: Für die Natur und Wildtiere ist es ein Fluch, für den Tourismus vielleicht ein Segen. Viele Arbeitsplätze in der Region hängen vom Tourismus ab, doch besonders der starke Tagestourismus setzt der Natur und den Wildtieren im Tegernseer Tal und im gesamten Mangfallgebirge stark zu. Auch hier ist wieder die tageszeitliche Ausdehnung der touristischen Aktivitäten in die Morgen- und Abendstunden als besonders problematisch zu nennen. Und wenn wir diese Natur-Erholungsgebiete in ihrer Schönheit erhalten wollten, sollte sich jeder fragen, ob er sich gerade so verhält, dass der Naturraum und dessen tierische Bewohner nicht darunter leiden. Denn Bergsportler sind dort nur Gäste, die Spaß und Erholung in ihrer Freizeit in den Bergen suchen. Bei den Wildtieren geht es ums nackte Überleben! Aus eigenem Interesse sollten wir alle daran arbeiten, diese Naturschätze zu erhalten, für uns und unsere Kinder. Ansonsten leidet auch der Tourismus, denn wer fährt in seiner Freizeit gerne in eine Region, um Natur zu erleben, wo es keine intakte Natur mehr gibt?

Aus eigenem Interesse sollten wir alle daran arbeiten, diese Naturschätze zu erhalten, für uns und unsere Kinder.

Florian Bossert, Gebietsbetreuer Mangfallgebirge

Wie sehen die Einheimischen die Entwicklung?

Besonders an den Wochenenden ist die Situation extrem. Stau auf den Straßen, zugeparkte Einfahrten etc. Natürlich führt das zu Frust, wenn man nicht mehr aus der eigenen Haustür kommt oder die kleine Tour auf den „Hausberg“ zur Massenveranstaltung wird. Verständlich ist aber auch, dass Erholungssuchende aus der Stadt ihre Wochenenden im Grünen verbringen wollen. Besonders zu erwähnen ist aber auch, dass das Problem am Parkplatz nicht endet, denn die Besucher, die vorher im Stau standen, sind anschließend auch in den Bergen unterwegs. Besucherzählungen belegen den massiven Anstieg der Besucherzahlen im Mangfallgebirge, auch schon vor Corona. Es ist zudem verständlich, dass die Einheimischen die Morgen- und Abendstunden vor beziehungsweise nach dem Besuch der Städter für ihre Freizeitaktivitäten nutzen wollen. Das Ergebnis liegt auf der Hand: “Über allen Gipfeln is nie a Ruh!”

Herr Ossner, Herr Bossert, wie sieht in ihren Augen umweltfreundliches Skibergsteigen aus?

Ordentliche Planung: Eine gute Skitour beginnt bereits bei der Planung. Der Lawinenlagebericht gibt mir eine Hilfestellung, die eigenen Möglichkeiten einzuschätzen. Der Wetterbericht hilft mir an vielen weiteren Stellen weiter. Darüber hinaus stelle ich mir die Fragen: Wo sind Wald-Wild-Schongebiete? Gibt es Wildschutzgebiete? Wo verläuft meine Route? Wo störe ich mit meinem Verhalten nur wenige Wildtiere, zum Beispiel auf großflächigen Almwiesen abseits des Waldes? Besonders nach Neuschnee stürze ich mich nicht sofort in entlegene Pulverhänge, die Wildtiere hatten während dem Schneefall eine schwere Zeit. Verzicht auf Skitouren in den sehr frühen Morgenstunden auch nach Neuschnee.

Faustregel: morgens 2 Stunden nach Sonnenaufgang am Gipfel und 1,5 Stunden vor Sonnenuntergang wieder abfahren und Verzicht auf Feierabendtouren außerhalb von ausgewiesenen Nachtskitouren auf Pisten.

Rücksicht im Gelände: Wildtiere, Jungwaldgebiete meiden, Pistenregeln beachten. Öffentliche Anreise: Umweltfreundlich sportliches Verhalten beginnt bereits bei der Anreise. Wenn ich im Gelände auf Beschilderungen stoße oder angesprochen werde, halte ich mich an die ausgeschriebene Skitourenroute, egal ob diese freiwillige Empfehlungen oder Verbote beinhaltet.

Vielen Dank für das Gespräch!

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