• Seit 1999 online
  • Powered by 350 Bergsportler
  • Am Puls der Berge
Eine Frage des Vertrauens

Eisklettern für Anfänger: Wie es geht und was man braucht

8 Minuten Lesezeit
Eisklettern macht auch als Anfänger Spaß! Bergzeit-Autorin Adriane Lochner berichtet von ihrer ersten Eisklettertour mit Bergführer an einem gefrorenen Wasserfall im Stubaital.

„Unglaublich, er hält!“ Das ist der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schießt. Die Spitze des Eispickels steckt nur wenige Zentimeter im Eis, dennoch trägt er mein Gewicht. Nicht viel tiefer stecken die Steigeisen im gefrorenen Nass, auch sie halten. Ich atme tief durch, hole aus und schwinge den anderen Pickel so weit wie möglich über meinen Kopf nach oben. Das Eis knirscht, glitzernde Kristalle splittern in alle Richtungen. Voilà, der zweite Schritt – es funktioniert, ich bin Eiskletterin!

Eiskletterkurs für Anfänger im Stubaital

Das Eisklettern ist eine Disziplin des alpinen Kletterns. Fundierte Kenntnisse über Sicherungstechniken, das Anbringen von Sicherungen im Eis mit Eisschrauben, Eisuhren und zum Teil auch an Vegetation müssen vorhanden sein. Eisklettern kann man nur in der freien Natur: Vor allem im Winter findet man in geeignetem Gelände vermehrt alpine Gefahren wie beispielsweise Lawinengefahr vor, die mit Sachkenntnis, Fachwissen und Erfahrungswerten richtig eingeschätzt werden müssen. Auf die Ausrüstung eines jeden Kletterers, wie wasserdichte Kleidung und Handschuhe, Eisgeräte, Steigeisen, Eisschrauben und Sicherungsmaterial muss absolut Verlass sein.

Vertrauen zur Ausrüstung, das ist das Wichtigste beim Eisklettern

Bergführer Marco Span

Der Bergführer Marco Span ist im Stubaital aufgewachsen, er klettert bereits sein ganzes Leben, seit einigen Jahren leidenschaftlich gern an gefrorenen Wasserfällen. Marco erklärt: „Das Klettern am Eis ist etwas ganz Besonderes, das kann man mit normalem Klettern nicht vergleichen.“ Denn am Fels seien die Konturen immer gleich, die Griffe dieselben. Eis könne schon am nächsten Tag ganz anders aussehen.

Eis, ein ehrfurchtgebietendes Element: Der richtige Umgang mit der Ausrüstung erfordert Übung.

Adriane Lochner

Eis, ein ehrfurchtgebietendes Element: Der richtige Umgang mit der Ausrüstung erfordert Übung.


Eis, ein ehrfurchtgebietendes Element: Der richtige Umgang mit der Ausrüstung erfordert Übung.

Adriane Lochner

Nicht auf die Fußspitzen! Beim Eisklettern steht man möglichst horizontal im Steigeisen.


Was braucht man zum Eisklettern?

„Ausrüstung“ ist das Stichwort, denn da liegen die großen Unterschiede zum Klettern am Fels. Damit meine ich nicht nur Steigeisen und Eispickel, es gehört noch viel mehr dazu. Bereits über den Zustieg muss man sich Gedanken machen. Wie sind die Verhältnisse? Führt der Weg durch tiefen Schnee? Ist das Gelände steil? Herrscht Lawinengefahr? Es empfiehlt sich, immer ein Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) dabei zu haben, denn auch oberhalb des Wasserfalls kann der Schnee rutschen. Ein guter Helm ist zwingend notwendig, denn es stürzen oft lose Eisbrocken herunter – und manchmal auch ein Eispickel.

Dazu kommen wechselnde Temperaturen. Schlecht sind starke Schwankungen: zu kalt und das Eis wird spröde, zu warm und größere Stücke brechen ab.

Zwischen minus drei und minus zehn Grad – das sind die idealen Temperaturen zum Eisklettern.

Also muss man sich daran gewöhnen, alle Handgriffe – vom Sichern über das Einhängen bis zum Abseilen – mit dicken Fingerhandschuhen zu machen.

Sicherheit steht beim Eisklettern an erster Stelle: Der Standbau ist ähnlich der des alpinen Kletterns. Zum Sichern wird der Achter oder das Tube empfohlen, da eine dynamische Sicherung beim Eisklettern von Vorteil ist! Zwei Halbseile geben Sicherheitsreserven und genügend Länge für den schnellen Rückzug etwa bei einem Wettersturz. Vor Stürzen und vor allem vor den herabfallenden Eisbrocken des Vorsteigenden schützt ein Kletterhelm, der gerne auch ein Visier haben darf. Beim Eisklettern wird funktionelle und warme Bekleidung empfohlen.

Beim Klettern im Eis selber wird einem schnell relativ warm, doch am Stand beim Sichern kühlt man schnell wieder ab. Die passende Funktionsbekleidung und auch Wechselbekleidung ist mitzunehmen. Eiskletterer schwören auf Merinowolle Unterwäsche, die auch im nassen und durchgeschwitzten Zustand noch wohlig warm hält. Am besten ist es, sich ersteinmal zum Thema Eisklettern Literatur zu besorgen und wer dann wirklich Eisklettern ausprobieren möchte, sollte an einem Eiskletterkurs teilnehmen und sich generell langsam ans Klettern im Eis gewöhnen. Es empfiehlt sich eine eigene persönliche, immer wieder angepasste „Packliste Eisklettern“ zuzulegen und diese auch zu pflegen.

Erste Eiskletter-Erfahrungen

Beeindruckende, wilde Wassersäulen wachsen im Stubaital fast an jeder Ecke aus dem Fels. Das Eisklettern ist jedoch nicht nur Profis vorbehalten. Mit fachkundiger Begleitung darf sich auch ein Anfänger wie ich an dieses Abenteuer wagen. „Sportlich sein hilft“, sagt Bergführer Marco Span – dabei meint er vor allem Klettern am Fels, aber auch andere Ausdauer- und Kraftsportarten. Das Allerwichtigste sind meiner Meinung nach die Nerven. Höhenangst wäre fatal. Man muss vertrauen können – dem Eis, dem Equipment und dem Bergführer.

Schließlich stehen wir vor dem gefrorenen Wasserfall. Marco zeigt mir die Route: „An dieser Stelle gehen wir hoch!“ „Um Gottes Willen!“ rufe ich – ausgerechnet da, wo es am glattesten aussieht. Instinktiv hätte ich eine Route mit natürlichen Strukturen als Steighilfe ausgesucht, so wie am Fels. Der Bergführer erklärt: „Wasser kann auf unterschiedliche Arten gefrieren. Dabei entstehen sehr schöne Formen – Tropfen oder Röhren, die sind aber schlecht zum Klettern. Bläuliches Eis ist hingegen ideal. Es ist Stück für Stück gefroren und daher am kompaktesten, das heißt, es beinhaltet wenig Luft, bricht nicht so leicht und ist daher sicherer.“ – „Leuchtet ein“, denke ich und erhebe keine Widerworte mehr.

Eisschrauben setzen

Marco steigt vor, ich sichere ihn und beobachte, wie er die Eisschrauben setzt. Auch hier zahlt sich Erfahrung aus, denn das Eis ist graduell unterschiedlich, es kommt auf Zentimeter an. Man muss ganz genau wissen, wo man die Schraube setzt und welche Länge man benutzt. Allgemein gilt: Je länger die Schraube, desto besser hält sie. Allerdings sollte sie komplett im Eis versenkt sein und nicht an den Fels stoßen.

Eisschrauben setzen: das Eis ist graduell unterschiedlich, es kommt auf Zentimeter an.

Adriane Lochner

Eisschrauben setzen: das Eis ist graduell unterschiedlich, es kommt auf Zentimeter an.


Nach knapp 30 Metern baut Marco den ersten Stand und gibt mir das Signal zum Nachkommen. Auch im Nachstieg ist die mittelschwere Tour – Schwierigkeitsbewertung WI 4- am Tröglerfall für Ungeübte recht deftig.

Bereits nach den ersten Metern brennen meine Füße wie Feuer und mir wird klar, dass meine Schuhe für diese Tour nicht die optimale Wahl sind. Obwohl es ein grober, steigeisenfester Bergschuh ist, der mir am Klettersteig treue Dienste geleistet hat. Doch mit „steigeisenfest“ hatte der Hersteller offenbar nicht unbedingt Eisklettern im Sinn. Die Sohle ist zu weich, die Spitze knickt immer wieder ab und ich halte zu viel Gewicht nur mit den Zehenspitzen. Was beim normalen Klettern gang und gäbe ist, scheint beim Eisklettern kontraproduktiv zu sein, denn es kostet Halt und Kraft. „Skischuhe sind auch nicht die ideale Lösung“, sagt der Bergführer – am besten wären richtig feste, kipphebeltaugliche Bergstiefel.

Der Tröglerfall ( WI 4-) ist einer von etwa 20 Wasserfällen im Stubaital, die regelmäßig begangen werden.

Adriane Lochner

Der Tröglerfall ( WI 4-) ist einer von etwa 20 Wasserfällen im Stubaital, die regelmäßig begangen werden.


Der Tröglerfall ( WI 4-) ist einer von etwa 20 Wasserfällen im Stubaital, die regelmäßig begangen werden.

Adriane Lochner

Der Bergführer steigt vor, ich sichere: Beim Eisklettern macht man alle Handgriffe mit dicken Handschuhen.


Im steilen Eis, oder: Wohin mit den Pickeln?

Bei der Exe stoße ich auf ein anderes Problem: Wohin mit den Eispickeln? Ich habe keine Hand frei und die Pickel haben keine Schlaufen für das Handgelenk – „sicherheitshalber“, hatte Marco zuvor erklärt, denn große Brocken könnten herausbrechen und Pickel samt Arm mitreißen. Aber wie komme ich an die Exe? Umständlich wurschtle ich herum, bis die Eispickel im Karabiner am Klettergurt befestigt sind. Dann packe ich Exe und Schraube ein. „Viel zu umständlich“, sagt der Bergführer, „wenn du die Pickel fest ins Eis schlägst, halten sie schon.“ Jedoch solle ich darauf achten, sie immer vertikal auszuhebeln, beim Hin- und Herwackeln könne die Metallspitze abbrechen.

Bergführer Marco Span aus dem Stubaital ist ein Experte im Eisklettern.

Adriane Lochner

Bergführer Marco Span aus dem Stubaital ist ein Experte im Eisklettern.


An diesem Tag schaffen wir zwei Seillängen, das entspricht etwa 50 Metern. Meine Unterarme brennen, ich bin am Ende meiner Kräfte, hänge im Stand und würde am liebsten ein Nickerchen machen. Gleichzeitig bin ich stolz – Eisklettern hat den Ruf, ein Sport für starke Männer zu sein. Hier ist der Beweis, dass es auch kleine Mädchen schaffen! Bevor ich abseile, atme ich noch einmal tief durch und genieße das Gefühl hier oben zu sein, mitten im wilden Eis, diesem frostigen, wunderschönen und doch so ehrfurchtgebietenden Element.

Podcast-Tipp: Dein Einstieg ins Eisklettern

Wenn auch Dich nun die Lust gepackt hat, einmal einen gefrorenen Wasserfall hochzuklettern, dann ist diese Beratungsfolge des Bergzeit Podcast genau das Richtige für Dich:

Eiskletter-Experte und Bergzeit Autor Franz Mösbauer erklärt Dir im Podcast, wie’s geht und was Du brauchst, um das erste Mal sicher im Eis zu klettern.

Schwierigkeitsgrade, Schnupperkurs und Bedingungen

Eisklettern ist in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. Gerade im Stubaital ist die Sportart populär, denn es gibt relativ viele Wasserfälle – etwa 20 werden regelmäßig begangen. Sie tragen Namen wie „Grawa-Eisgärten“ oder „Schneewittchen“. Im benachbarten Pinnistal heißen sie „Vorhang“, „Eiszeit“ oder „Männer ohne Nerven“.

Die Schwierigkeitsgrade bei Wasserfällen richten sich nach Steigung und Kompaktheit des Eises. Der einfachste Schwierigkeitsgrad WI1 hat zum Beispiel 40 bis 70 Grad Steigung bei durchgehend kompaktem Eis. WI7 ist die Grenze des Machbaren mit Überhängen und dünnen, freistehenden Eissäulen (laut DAV-Info-Material).

Bevor man sich an den Wasserfall wagt, sollte man das Steigen mit Pickeln und Steigeisen üben. Am besten eignet sich dazu der Eisturm am Stubaier Gletscher gleich neben der Liftstation Gamsgarten. Der 17 Meter hohe Turm ist vor alpinen Gefahren sicher und bietet sichere Toprope-Trainingsverhältnisse unter fachkundiger Anleitung. Einsteigerkurse finden nach Vereinbarung statt. Jeden Freitag im Winter von Weihnachten bis Mitte März gibt es dort Nachmittags für 25 Euro pro Person ein Schnuppertraining, für das keine Voranmeldung nötig ist. Für das Schnuppertraining sind Ski- oder Snowboardschuhe ausreichend.

Am künstlichen Eisturm beim Stubaier Gletscher lässt sich das Eisklettern im Toprope gut ausprobieren.

Adriane Lochner

Am künstlichen Eisturm beim Stubaier Gletscher lässt sich das Eisklettern im Toprope gut ausprobieren.


Am künstlichen Eisturm beim Stubaier Gletscher lässt sich das Eisklettern im Toprope gut ausprobieren.

Adriane Lochner

Bis zu 17 Meter hoch türmt sich der künstliche Eisturm auf – und das bei idealer Eiskonsistenz.


Ob Eisklettern möglich ist, hängt stark von den Bedingungen ab. Die Hauptsaison dauert von Mitte Dezember bis Ende Februar. Aktuelle Verhältnisse an den Wasserfällen können beim Bergführerbüro Stubai-Alpin in Neustift angefragt werden. Dort stehen auch ortskundige Bergführer als Tourenbegleiter bereit.

Equipment für Hochtouren und Eisklettern im Bergzeit Shop

Zum Shop

Mehr zum Thema Eisklettern

Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments

Unsere Top Outdoor Kategorien


Bergzeit Magazin - Dein Blog für Bergsport & Outdoor

Willkommen im Bergzeit Magazin! Hier findest Du Produkttests, Tourentipps, Pflegeanleitungen und Tipps aus der Outdoor-Szene. Von A wie Alpspitze bis Z wie Zwischensicherung. Das Redaktionsteam des Bergzeit Magazins liefert zusammen mit vielen externen Autoren und Bergsport-Experten kompetente Beiträge zu allen wichtigen Berg- und Outdoorthemen sowie aktuelles Branchen- und Hintergrundwissen.